12/2005
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Beseitigung der Armut in Ningxia

- Vorbemerkungen der Redaktion

Es sind nur zweieinhalb Flugstunden von Beijing aus in Richtung Westen, schon erreicht man Yinchuan, die Hauptstadt des Autonomen Gebiets der Hui-Nationalität, das als die "Provinz der Muslimen Chinas" bezeichnet wird. Ningxia ist eines der fünf autonomen Gebiete Chinas und gleichzeitig das größte Siedlungsgebiet der Angehörigen der Hui-Nationalität. Die Hui-Nationalität ist zahlenmäßig die drittgrößte ethnische Gruppe in China. Ihre Bevölkerungszahl beläuft sich auf über 7 Mio. In Ningxia leben 1,5 Mio. Angehörige der Hui-Nationalität, sie machen damit 30% der Bevölkerung von Ningxia und insgesamt ein Fünftel der Hui-Nationalität von ganz China aus.

Fährt man von Yinchuan mit dem Bus nach Süden, gelangt man nach sechs Stunden Fahrt in eines der ärmsten Gebiete Chinas - die Bergregionen im Süden Ningxias. Sie werden volkstümlich als "Xihaigu" bezeichnet. "Xihaigu" ist eine Sammelbezeichnung für insgesamt acht Kreise im Süden von Ningxia. Neuerdings ist es Schwerpunktgebiet bei der Beseitigung von Armut durch den Staat. Der Gelbe Fluss, der zweitgrößte Strom Chinas, fließt durch den Norden von Ningxia, wodurch das Flachland, die so genannte Ningxia-Ebene, entstanden ist. Sie macht ungefähr 41% der Gesamtfläche Ningxias aus. Aufgrund reicher Wasserressourcen zur Bewässerung, sowie flacher und fruchtbarer Ackerböden wurde die Ningxia-Ebene zu einer der wichtigsten Getreideproduktionsbasen Chinas. Im Laufe der Zeit entstand die Redewendung: Unter dem Himmel bringt der Gelbe Fluss Ningxia Reichtum. Im Gegensatz dazu werden die Bergregionen im Süden, welche die restlichen 59% der Fläche von Ningxia einnehmen, bereits seit der Qing-Dynastie (1644-1911) als "die elendsten und ärmsten Gebiete unter dem Himmel" bezeichnet. Die klimatischen Bedingungen in den südlichen Bergregionen sind äußerst hart, und die vielgestaltige Topographie verändert sich auch ständig. Plattformartige Lössbodenhügel erstrecken sich kreuz und quer über die Bergregionen. Die jährliche Durchschnittstemperatur beträgt gerade mal 6 oC. Die verfügbare Wassermenge pro Kopf liegt bei 465 Kubikmetern; das ist nicht einmal ein Sechstel des Landesdurchschnitts. 90,8% des Ackerbodens gelten als arid, weshalb die Vegetation sehr spärlich ist. Naturkatastrophen sind häufig, alle vier oder fünf Jahre sucht eine große Dürre die Regionen heim. Das Pro-Kopf-Einkommen in den Bergregionen macht nur 30% des Pro-Kopf-Einkommens von ganz Ningxia aus. Selbst im Vergleich zur Ningxia-Ebene beläuft es sich auf lediglich 19%.

Wegen der harten Naturbedingungen war die demographische Entwicklung in den Bergregionen im Süden lange Zeit durch "hohe Geburtenrate, hohe Mortalität und niedriges Bevölkerungswachstum" gekennzeichnet. Beispielsweise das Gebiet Guyuan: In der Mitte des 16. Jahrhunderts lag die Bevölkerungszahl bei etwa 160 000. Vier Jahrhunderte später, im Jahr 1949, lebten dort fast unverändert zirka 180 000 Einwohner. Seit den 50er Jahren allerdings durchläuft das Bevölkerungswachstum aufgrund von gesellschaftlicher Stabilität und einer verbesserten medizinischen Versorgung große Veränderungen. Nun gilt: "hohe Geburtenrate, niedrige Mortalität und hohes Bevölkerungswachstum". Gemäß zahlreichen Statistiken ist die Bevölkerung im Zeitraum von 1949 bis 1994 um das 3,19fache gestiegen. Gleichzeitig ist die Pro-Kopf-Anbaufläche von 14,9 Mu (1 Mu = 1/15 ha) auf 4,2 Mu gesunken. Obwohl die Gesamtmenge der Getreideproduktion gestiegen ist, ist die verfügbare Getreidemenge pro Person von 322 kg in den 50er Jahren auf 192 kg Ende der 70er Jahre gesunken. Dadurch gerieten die Bergregionen im Süden in einen Teufelskreis: "Zunahme der Bevölkerung - Urbarmachung - Zerstörung der Umwelt - Armut - Zunahme der Bevölkerung". Die Bergregionen im Süden von Ningxia gehören zu den Gebieten mit der schlimmsten Umweltzerstörung und Bodenerosion in China. Ein lokales Sprichwort beschreibt diese Situation wie folgt: "Innerhalb von drei Jahren gibt es zwei Dürren, zwischendurch bereiten Sandstürme den Menschen Sorgen, Menschen und Tiere arbeiten mühselig, und von zehnmaligem Anbau erlebt man neunmal Missernten."

Seit den 50er Jahren ergreift der Staat verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der in den Bergregionen lebenden Bevölkerung. Doch bis in die 80er Jahre hinein konnten 70% der lokalen Bevölkerung nicht mit ausreichender Nahrung und Kleidung versorgt werden. Am schlechtesten erging es dabei jenen 600 000 Einwohnern (30% der Bevölkerung), deren jährliches Pro-Kopf-Einkommen bei weniger als 300 Yuan lag. Vielen Bauernfamilien verfügten nur über eine gemauerte Schlafbank ohne wattierte Decken, die Kinder hatten keine Kleidung, zum Essen gab es keine Schalen. Deshalb dienten die am Rande der gemauerten Schlafbänke gebohrten Löcher als Essschalen. In manchen Familien gab es für jede Person pro Tag nicht einmal 50 g Nahrungsmittel.

Von 1983 an änderte die Zentralregierung ihre Konzepte. Armut sollte von nun an nicht mehr durch Hilfeleistung beseitigt werden, sondern durch die Erschließung verschiedener Ressourcen. Für den Zeitraum von zehn Jahren wurden jährlich 200 Mio. Yuan als zweckgebundene Geldmittel für die Armutsbeseitigung in Dingxi und Hexi in der Provinz Gansu sowie Xihaigu in Ningxia freigegeben. Die Zentralregierung und die Regierung des autonomen Gebiets initiierten eine Reihe von Projekten zur Beseitigung der Armut in den Bergregionen im südlichen Ningxia. Eine neue Maßnahme ist die Umsiedlung von Einheimischen mit zusätzlicher Bodenerschließung. Diese Maßnahme wurde vor dem Jahre 2000 in Form unter dem Motto "Diaozhuang", also "Urbarmachung und landwirtschaftlicher Anbau an einem anderen Ort mit einer vorläufigen Bleibe dort" erprobt und wird nun seit 2001 in Form von ökologisch sinnvoller Umsiedlung durchgeführt.

Bei "Urbarmachung und landwirtschaftlicher Anbau an einem anderen Ort mit einer vorläufigen Bleibe dort " geht es darum, dass eine oder zwei aus einer Familie stammende Arbeitskräfte an einem anderen Ort Boden urbar machen, Getreideanbau betreiben und eine vorläufige Bleibe errichten, was zur Folge hat, dass Mitglieder einer Familie an zwei Orten wohnen. Die Beseitigung der Armut in den Bergregionen im Süden von Ningxia wurde bereits in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts eingeleitet, wodurch man zu der Erkenntnis gelangte, dass die Naturbedingungen in bestimmten Gebieten von Xihaigu äußerst hart sind, und es für die Erschließung und den Aufbau sozialer Strukturen an Energie und Infrastruktur fehlt. Es wurde schnell klar, dass sich die Armutssituation der lokalen Bevölkerung nicht einfach verändern kann. Und die Bevölkerungsdichte in den Bergregionen im Süden übertrifft den betreffenden Grenzwert um sogar mehr als zehnfach. In manchen Gebieten liegt die Bevölkerungsdichte bei 220 Personen pro qkm. Diese hohe Bevölkerungsdichte macht die Umsiedlung einiger Bewohner zwingend erforderlich. Durch Erkundung und Abschätzung des Flachlands wurde festgestellt, dass es am Rand der Bewässerungsgebiete am Gelben Fluss über 4 Mio. Mu brachliegende Landflächen gibt, von denen 2,6 Mio. Mu urbar gemacht werden können. Da der Gelbe Fluss diese Gebiete durchfließt, herrscht nebenbei ein relativer Überschuss von 800 Mio. Kubikmetern Wasser. Das dortige Flachland ist seit jeher ein Umsiedlungsgebiet, und die Bergregionen besitzen mittlerweile eine gewisse Tradition in der "Urbarmachung und landwirtschaftlichen Anbau an einem anderen Ort mit einer vorläufigen Bleibe dort" - es ist das 20 Jahre dauernde Projekt, Armut durch Umsiedlung zu beseitigen.

Dieses Projekt umfasst 3/5 der Fläche und 2/5 der Bevölkerung Ningxias. Die längste Distanz der bisherigen Umsiedlungen beträgt 400 km. 400 000 Menschen wurden auf diese Weise bereits umgesiedelt. Auch durch die der Ökologie dienende Umsiedlung werden bis Ende 2005 fast 80 000 Bewohner an einem neuen Ort untergebracht. Dabei folgt die Umsiedlung einem genauen Zeitplan: "Im ersten Jahr findet der Umzug statt, im zweiten Jahr wird der positive Effekt sichtbar, im dritten Jahr ist man mit ausreichender Nahrung und Kleidung versorgt, im fünften Jahr gelangen die Menschen zum Reichtum." Derzeit beträgt das Pro-Kopf-Nettoeinkommen bei 80% der umgesiedelten Bauern über 1000 Yuan.

In den Bergregionen im Süden von Ningxia machen die Angehörigen der Hui-Nationalität knapp 49% der dortigen Gesamtbevölkerung aus, was 60% der gesamten Hui-Nationalität in Ningxia entspricht. In einzelnen Gebieten sind 96% der Menschen Angehörige der Hui-Nationalität. So sind die Angehörigen der Hui-Nationalität die größten Nutznießer des Projekts "Beseitigung der Armut durch Umsiedlung und Erschließung verschiedener Ressourcen".

Statistiken zufolge ist der Anteil der Hui-Nationalität in einigen Umsiedlungsgebieten höher als in ihren ursprünglichen Orten. In manchen Kreisen machen sie 98% der Bevölkerung aus. In der nach 2001 eingeleiteten, der Ökologie dienenden Umsiedlung sind mehr als 50% der Nutznießer Angehörige der Hui-Nationalität. Bei der Planung und Gestaltung der Umsiedlungsdörfer finden Lebensgewohnheiten und religiöser Glaube der Hui-Nationalität ausreichend Beachtung. So werden immer alle Möglichkeiten ausgeschöpft, damit die Angehörigen der Hui-Nationalität in einem Dorf gemeinsam leben können. Wenn es in einem Dorf sowohl Han-Chinesen als auch Angehörige der Hui-Nationalität gibt, werden die Siedlungen schlicht getrennt, damit gewisse Selbstständigkeit gewahrt bleibt. Bei der Versorgung mit Trinkwasser und Lebensmitteln werden ebenfalls Sitten und Gebräuche der Hui-Nationalität ausreichend berücksichtigt, wobei vor allem Anstrengungen zur Bewahrung der moslemischen Besonderheiten der Hui-Nationalität unternommen werden. So sind in den Umsiedlungsdörfern der Hui oft Moscheen und Imame zu finden.

Auf der 2004 in Shanghai abgehaltenen Weltkonferenz zur Armutsbekämpfung wurde eine Strategie zur Beseitigung der Armut im 21. Jahrhundert festgelegt: nachhaltige Entwicklung, Gerechtigkeit innerhalb der Gesellschaft, wobei es bei allem die Interessen des Volkes zu wahren gilt, und ethische Fortschritte. Die chinesische Regierung formulierte zudem das Ziel des Aufbaus einer harmonischen Gesellschaft. Dieses Ziel beinhaltet eine einheitliche, ausgeglichene Entwicklung der verschiedenen Regionen sowie eine staatliche Unterstützung hinsichtlich des Fortbestandes nationaler Minderheiten.

Die Beseitigung der Armut in den Bergregionen hat noch weitere Aspekte zum Inhalt: Ningxia befindet sich im Westen Chinas, das Niveau der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung weist erhebliche Unterschiede im Vergleich zu den Küstenregionen im Osten auf. In Ningxia selbst herrscht ein großes Ungleichgewicht zwischen den Bergregionen im Süden und dem Flachland im Norden. Außerdem sind 90% der Bevölkerung in den Bergregionen im Süden Bauern und fast die Hälfte der Bewohner dort sind Angehörige der Hui-Nationalität. (...) Die Beseitigung der Armut in den Bergregionen im Süden dient deshalb einerseits der einheitlichen Entwicklung zwischen den Regionen, zwischen Stadt und Land, aber andererseits auch der wirtschaftlichen Entwicklung der von den nationalen Minderheiten bewohnten Gebiete.

Wichtiges Kennzeichen einer harmonischen Gesellschaft ist die Harmonie zwischen Mensch und Natur. Eine harmonische Gesellschaft ist eine Ressourcen schonende Gesellschaft. Die Umsiedlung von Bewohnern im Süden von Ningxia, insbesondere die seit 2001 durchgeführte der ökologischen Weiterentwicklung dienenden Umsiedlung, zielt auf die ökologische Wiederherstellung brachliegender Gebiete ab. Nach der neuesten Planung des autonomen Gebiets sollen die Bergregionen im Süden eine Art "Grüne Insel" sein. "Grüne Insel" umfasst dabei den Schutz von Wasser und Boden, die Bewahrung von Wasserressourcen, die Verbesserung des Klimas sowie die Verbesserung der Luftqualität. Dadurch wird ein natürlicher, grüner Schutzwall zur Erhaltung der ökologischen Sicherheit in den nordwestlichen Gebieten geschaffen.

 
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