12/2005
Ihre Position: Homepage >

Zhuang Zi: Mensch oder Schmetterling

Von Hou Jueliang

Von allen alten chinesischen Philosophen ist Zhuang Zi der originellste und derjenige, der sich am besten liest. Ich begann, mich für ihn zu interessieren, nachdem ich während meiner Mittelschulzeit zufällig eine Geschichte von ihm gelesen hatte. Zhuang Zi und der Philosoph Hui Shi, sein enger Freund, der in vielen Geschichten auftaucht und immer den logischen Standpunkt vertritt, stehen auf der Brücke über einem klaren Bach und schauen nach den Fischen.

"Schau, wie die Elritzen auf und ab hüpfen, wie es ihnen gerade gefällt," sagte Zhuang Zi. "Das ist es, was Fische wirklich lieben."

"Du bist kein Fisch, wie kannst Du wissen, was Fischen gefällt?" sagte Hui Shi.

"Und Du bist nicht ich! Woher weißt Du, ob ich weiß oder nicht weiß, was Fischen gefällt?" erwiderte Zhuang Zi.

Er wurde als Zhuang Zhou (Zhuang Zi bedeutet Meister Zhuang) 369 vor unserer Zeitrechnung - im kleinen Ort Meng des Song-Staates (heute im Nordosten des Kreises Shangqiu, Provinz Henan) zur Zeit der Streitenden Reiche (475-221 v. u. Z.) geboren. Er lebte bis zu seinem Tod 286 vor unserer Zeitrechnung unter denselben Bedingungen, welche die chinesischen Philosophen einige Jahrhunderte lang philosophischen Betrachtungen angeregt hatten - die Kriege zwischen den "starken Männern", die nach dem Zusammenbruch der zentralen Autorität der Zhou-Dynastie um die Vorherrschaft kämpften. Das Denken Zhuang Zis gründet sich auf die Gedanken Lao Zis, der ein Jahrhundert vor ihm lebte. Lao Zis Antwort auf das Chaos der Zeit war, sich zurückzuziehen. Die Antwort von Zhuang Zi war, sich vom Geschehen der Welt freizumachen.

Seine Lehren hatten das Ziel, mit allen konventionellen Ansichten zu brechen. Zusammen mit Lao Zi rechnet man ihn zu den Begründern des Daoismus. Das 33 Kapitel umfassende Werk Zhuang Zis - Dialoge, Anekdoten und seine allegorischen Geschichten sollen in ihrer jetztigen Version bereits im zweiten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung bekannt gewesen sein. Das Werk hatte einen beachtlichen Einfluss unter den Anführern der Bauernaufstände am Ende der Östlichen Han-Dynastie (25-220 u. Z.), besonders die Kapitel über die Unbesiegbarkeit feindlichen Waffen gegenüber, die wörtlich als solche verstanden wurden, obwohl es Zhuang Zi wahrscheinlich nicht wörtlich meinte. Zhuang Zi gebraucht einiges aus der Terminologie Lao Zis zum Beispiel das Dao oder Way, das er häufig als Qi oder "lebendige Kraft" bezeichnet. Sie besteht ewig und konzentriert sich, um Materie zu schaffen, beziehungsweise zerstreut sich, um der Materie ein Ende zu setzen, eine der heutigen Theorie in der modernen Physik verwandte Idee. Er sagte auch, alles auf der Erde sei in steter Bewegung und von Geburt bis zum Aussterben einem ständigen Wandel unterworfen, ein Prozess, den er mit dem Zu- und Abnehmen des Mondes verglich. Für ihn hatte die Welt keine zeitlichen und räumlichen Grenzen. Sein größter Beitrag liegt jedoch darin, dass er - oft mit einem vernichtenden Humor - die Bedeutungslosigkeit konventioneller Werte bloßstellte. Dafür wurde er von den engstirnigen Konventionalisten zur Verantwortung gezogen; es sei ihm nicht gelungen, so wurde gesagt, den Unterschied zwischen richtig und falsch zu erkennen. Seine Beispiele aber regen einen an, nachzudenken, und sind alle auf ihre Weise in logischen Zusammenhängen verkettet (siehe Kästchen).

Die Zeit, in der er lebte, machte ihn allem gegenüber zum Skeptiker. Intelligenz und Wissen, sagte er, seien nutzlos außer für den Zweck, Leuten beizubringen, sich gegenseitig zu betrügen. Als ein Beispiel für die Nutzlosigkeit von Intelligenz erzählte er die Geschichte einer berühmten Persönlichkeit, die ihre Wertsachen in einen Kasten legte, ihn sorgfältig verschloss und an einem sicheren Platz aufbewahrte. Aber gerade deshalb dachte ein Dieb, der vorbeikam, in dem Behälter müsste etwas Wertvolles enthalten sein, und nahm ihn mit.

Zhuang Zi stammte aus einer armen Familie. Eine der wenigen Tatsachen, die man über ihn weiß, ist, dass er hin und wieder als kleiner Beamter in einer Lackbaum-Plantage diente. Man sagt über ihn, er habe ein einfaches Leben geführt, und Strohsandalen und geflickte Kleidung getragen; oft musste er sich Getreide ausborgen, um seine Familie ernähern zu können. Jemand, der von seinen Thesen überzeugt ist, würde öffentliche Ämter logischerweise ablehnen. Er tadelte Hui Shi, der Ministerpräsident des Staates Liang geworden war, und ihn, Zhuang Zi verdächtigte, nach seinem Amt zu trachten, eine Haltung, die Zhuang Zi mit der einer "halb verwesten Ratte" verglich. Er hob häufig die widerwärtigen Aspekte des Lebens besonders deutlich hervor, um die Leute durch eine Art Schock zu einer anderen Sicht der Dinge zu bewegen.

Zur Frage von "Heiligen" (die in die Fußstapfen der verehrten Könige des Altertums traten) zitierte er den Staat Qi, wo diese Tradition äußerst gewissenhaft verfolgt wurde und man die Heiligen verehrte. Eines Tages jedoch tötete Tian Chenzi seinen Herrscher und ergriff die Macht. Obwohl er in der Geschichte nur als Bandit und Mörder bekannt ist, wagte es niemand, ihn zu bestrafen, und seine Nachfahren herrschten zwölf Generationen lang.

Somit war die Verehrung dieser Könige so nutzlos wie die Intelligenz. Eine andere Geschichte betrifft den Tod seiner Frau. Hui Shi kam zu Zhuang Zi nachhause, um sein Beileid auszusprechen. Er fand den Philosophen auf dem Boden sitzend vor, einen großen Kübel zwischen seinen Beinen, auf dem er herumtrommelte und dazu sang. Hui Shi fragte, was er damit ausdrücken wolle. Zhuang Zi antwortete, er sei traurig gewesen über den Tod seiner Frau, aber wenn er zurückblicke auf ihr Leben, sei ihm klar geworden, dass ihr Tod nichts anderes sei als das Fortschreiten der Jahreszeiten und wenn er trauere, würde er damit zeigen, dass er dies nicht verstehe. Seiner Ansicht nach war der Tod weniger wünschenswert als das Leben. Das Leben war sowieso nur ein Traum. Tod bedeutete, frei zu sein - frei von den Mühen im Leben und den Einschränkungen durch die herrschende Klasse. Auf diese Weise konnte man glücklich sein wie ein König. Tod und Leben sollten also gefeiert werden.

"Wie soll ich wissen," sagte er einmal, "dass die Liebe zum Leben kein Irrtum ist? - Wie soll ich wissen, dass die Abneigung gegen den Tod dasselbe ist, als wäre ich ein Mann, der in der Jugend seine Heimat verließ und dann den Weg zurück vergessen hat? ... Wie soll ich wissen, ob sich die Toten nicht fragen, wie sie sich jemals nach dem Leben sehnen konnten? Eines Tages wird es ein Erwachen geben, wenn wir alle wissen, dass alles ein großer Traum ist. Die Dummen glauben jedoch, sie seien wach, und sind sich völlig sicher, dass sie die Dinge verstehen, indem sie diesen Herrscher nennen und jenen Hirten ..."

Wenn Zhuang Zis Philosophie in Zeiten der Unruhen auch trostspendend gewesen sein mag und darüber hinaus auch eine Art von Protest - so spornte sie die Menschen doch nicht an, zu revoltieren und gegen ihre Schwierigkeiten zu kämpfen.

Manchmal hob er diese Ideen von Traum und Realität, sogar nach seiner eigenen Meinung zu stark hervor, wie die berühmteste Geschichte über ihn zeigt. "Ich träumte, dass ich ein Schmetterling war, ohne Sorgen umherschwirrte und nicht wusste, dass er Zhuang Zhou ist", sagte er, "aber plötzlich wachte ich auf und war da, der leibhaftige Zhuang Zhou. Ich fand es schwierig zu sagen, ob ich Zhuang Zhou bin, der geträumt hat, er sei ein Schmetterling oder ein Schmetterling, der geträumt hat, er sei Zhuang Zhou. Mit Sicherheit muss es zwischen beiden einen gewissen Unterschied geben."


Kästchen:
Ein Beispiel von Zhuang Zi

Wenn ein Mensch an einem feuchten Ort schläft, bekommt er Rücken- und Geliederschmerzen. Aber gilt dies auch für eine Schmerle? Wenn er in einem Baum sitzt, hat er Angst und zittert vor Furcht, aber gilt das für einen Affen? Wer weiß schon, welcher Ort der zum Leben geeigneteste ist für diese drei Lebewesen?

Die Menschen essen Reis und Gemüse, doch tun dies auch Tiere, Rehe essen bspw. Gras, die Maden mögen Schlamm und die Raubvögel essen Mäuse. Von diesen vier Lebewesen - welches weiß schon, was das köstlichste Essen auf Erden ist? Die Menschen behaupten, Mao Qiang und Lady Li seien die schönsten Frauen der Geschichte, aber wenn ein Fisch sie sähe, würde er auf den Grund des Flusses tauchen, die Vögel würden bei ihrem Anblick weit davonfliegen und die Hirsche und Rehe würden weit weg rennen - Welches von diesen vier Lebewesen weiß wirklich, was Schönheit ist?

Aus China im Aufbau, Nr. 8, 1986

 
Zurück