12/2005
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Umgang mit chinesischen Bossen

Von Li Wuzhou

Sun Yanyan

Nikita ist die russische Direktorin eines russisch-chinesischen Joint Ventures.

Eines Tages sagte die Frau des chinesischen Direktors zu ihr: "Schau, in diesem Monat kam Dascha jeden Tag fünf Minuten früher zur Arbeit, Mischa 10 Minuten früher. Aber Paula kam einige Male lediglich eine Minute früher."
"Hat sie sich verspätet?"
"Nein."
"Was ist dann nicht in Ordnung?"
"Dass sie so auf den Punkt genau zur Arbeit kommt, bedeutet, dass sie keinen Wert auf ihren Job legt."

Obwohl Nikita findet, dass manche Chinesen sehr fleißig und willig sind, Befehle auszuführen, kann sie die Denkweise chinesischer Chefs nur schwer nachvollziehen. In chinesischen Unternehmen sind die interkulturellen Unterschiede viel größer, als man sich vorstellen kann.

Heutzutage arbeiten mehr als 100 000 Ausländer in China und die Zahl nimmt ständig weiter zu. Gleichzeitig sind durch vermehrte Übernahmen ausländischer Unternehmen auch im Ausland immer mehr Ausländer bei chinesischen Unternehmen angestellt. Daher könnte es von Nutzen sein, wenn sie wüssten, wie man mit den neuen chinesischen Bossen umzugehen hat.

Wertschätzung ausländischer Angestellter in chinesischen Unternehmen

Viele Ausländer befürchten nun, dass sie unter den chinesischen Chefs keine Chancen auf eine Beförderung haben. Sie fürchten, es könnte ihnen so ergehen, wie den Amerikanern in den 80er und 90er Jahren, als damals zahlreiche japanische Investoren viele US-Unternehmen in der Produktionsindustrie, im Immobiliensektor und in der Unterhaltungsindustrie übernommen haben. Prominentes Beispiel dafür ist die Firma Columbia Pictures. Einige amerikanische Direktoren beschwerten sich damals, dass ihren beruflichen Karrieren seit dem Zeitpunkt der Übernahme ein "Endpunkt" gesetzt worden wäre.

Allerdings wird das in chinesischen Unternehmen kaum passieren. Während japanische Geschäftsführer der Meinung sind, ihre Arbeit sei gegenüber ausländischen Direktoren besser, bevorzugt das chinesische Verwaltungspersonal ausländische - insbesondere europäische und US-amerikanische Manager - und hofft, von ihnen lernen zu können. Diese Einstellung ist seit der Einführung der Reform- und Öffnungspolitik vor mehr als 20 Jahren bis in die heutige Zeit unverändert. Heutzutage sehnen sich chinesische Unternehmen noch stärker als zuvor nach ausländischen Managern. In Nanjing, Shanghai und Shenzhen bieten sie großzügige Bedingungen, um ausländische Top-Manager anzuwerben.

Der US-Amerikaner Gary Wetzel, der durch eine Stellenanzeige im Wall Street Journal den Posten als Vize-Generaldirektor der Niederlassung der chinesischen Wanxiang-Gruppe in den USA bekam, hatte zunächst große Bedenken, bevor er in einem chinesischen Unternehmen arbeitete. Zuvor war er nämlich in einem japanischen Unternehmen angestellt. Da unterschiedliche kulturelle Hintergründe zu unterschiedlichen Wertanschauungen, Denkweisen und Gewohnheiten sowie Arbeitsstilen führen, haben japanische und US-amerikanische Direktoren oft Meinungsverschiedenheiten z. B. in Bezug auf die Betriebsführung und das Management. In japanischen Unternehmen wird am Ich-bezogenen Management festgehalten, was die US-Amerikaner ablehnen.

Als hochrangiger Manager geht Gary Wetzel mit gutem Beispiel voran und versucht, chinesisches mit westlichem Management zu verbinden. Er wird von allen Mitarbeitern respektiert. Er wurde drei Jahre in Folge von der Wanxiang-Gruppe als Modellarbeiter ausgezeichnet.

Was Gary Wetzel zutiefst beeindruckt, sind der Ton und die Ausdrucksweise seines chinesischen Chefs, was wiederum von der Anerkennung des Chefs gegenüber Wetzels Arbeit zeugt und dessen individuellen Wert für das Unternehmen bestätigt.

Verschiedene Typen chinesischer Unternehmer

Unter den chinesischen Unternehmern gibt es im Großen und Ganzen drei Typen.

Sun Yanyan

Zu der ersten Gruppe gehören die Bosse aus der Unterschicht der Gesellschaft. In China konzentrieren sich ihre Betriebe hauptsächlich im Delta des Perlflusses und in den Gebieten der Provinzen Jiangsu und Zhejiang. Darüber hinaus befinden sich ihre Betriebe in allen Teilen der Welt, überwiegend jedoch in den Ländern der Dritten Welt. Hierbei handelt es sich meist um kleine und mittelgroße Betriebe. Über 90% der Bosse aus Guangdong waren früher Bauern, ein kleiner Teil Handwerker. Unter den 100 stärksten, nicht staatlich betriebenen Unternehmen in Zhejiang waren 90% der Unternehmer Bauern, Näher, Schuster oder Handwerker. Sie lebten in ärmlichen Familienverhältnissen und haben meist nur die Mittelschule abgeschlossen. Manche haben nur die Grundschule besucht oder sind gar Analphabeten.

Diese "Grashalm-Bosse" erfuhren keine systematische Fachausbildung. Sie kennen seit ihrer Kindheit die Härte des Lebens und haben bereits allerhand durchgemacht. Zwar ist ihre Ausdrucksweise nicht sonderlich gebildet und auch ihr Benehmen durchaus befangen, doch sind sie die Elite unter den über 800 Mio. Bauern in China.

Sie haben ein scharfes Gespür für das Geschäft, sind entschlussfreudig, handeln flexibel, geben nie nach und sind schwer unterzukriegen. Dies sind auch die wichtigen Gründe für den steten Erfolg der so genannten "Grashalm-Bosse" auf dem Markt.

Zudem sind sie fleißig und zäh, und fordern ihre Mitarbeiter auf, das Gleiche zu tun. Sie sind der Meinung, dass die Mitarbeiter die Interessen des Unternehmens in den Vordergrund stellen sollten und dafür, wenn erforderlich, auch Opfer bringen müssen. Ihre Handelsgesellschaften machen meistens rund um die Uhr Geschäfte, und in ihren Betrieben ist es üblich, Überstunden zu machen. Das Streben nach Profit steht an erster Stelle, weshalb diese Bosse keinen Wert auf Familienleben und Freizeit legen.

Doch verfügen sie durchaus auch über liebenswürdige Eigenschaften. So laden sie beispielsweise gerne Gäste zu sich nach Hause ein, um diese bei einem gemütlichen Essen zum Alkoholtrinken zu animieren.

Der chinesische Direktor des Joint Ventures, in dem Nikita arbeitet, ist beispielsweise so ein Typ.

Zum zweiten Typ gehören die chinesischen Chefs, die gut gebildet sind und meist im Ausland studiert haben. Sie sind gebildet, strategisch gesinnt, eloquent und ausgesprochen leidenschaftlich. Der überwiegende Teil an großen chinesischen Unternehmen ist in ihrem Besitz. Sie sind intelligent, entschlossen, marktbewusst und verfügen über große Fähigkeiten im Bereich der Betriebsverwaltung. Im Allgemeinen erzielen sie große Erfolge. Die prominentesten Vertreter dieses Typs sind Ren Zhengfei von der Huawei-Gruppe, Liu Chuanzhi von der Lenovo-Gruppe, Zhang Ruimin von der Haier-Gruppe und Li Dongsheng von der TCL-Gruppe. Sie haben es verstanden, die alten chinesischen Weisheiten auch in der heutigen Zeit voll zur Geltung zu bringen.

Chefs dieser Klasse kennen die Situation im Ausland gut und sind mit ausländischem Management vertraut, so dass sie im Umgang mit ausländischen Mitarbeitern der westlichen Vorgehensweise folgen.

Unternehmer des dritten Typs verfügen über Erfahrungen einer langjährigen Beschäftigung in einem staatlichen oder halbstaatlichen Betrieb. Sie kennen das so genannte "Strebertum unter Bürokraten" und sind Kenner im Betriebsmanagement. Zu ihren Schwächen zählt, dass sie oft eigenmächtig, befehlerisch und unnahbar sind, vor allem ausländischen Mitarbeitern gewähren sie jedoch großen Spielraum.

Besonderheiten chinesischer Unternehmer

Obwohl ausländische Mitarbeiter in chinesischen Unternehmen oft bevorzugt werden, bedeutet das nicht, dass sie ihre Arbeits- und Verhaltensweise nicht zu ändern haben.

Frau Dr. Nandani Lynton, die auf dem Gebiet der multikulturellen innerbetrieblichen Forschung aktiv ist, sagt: "Wenn Ausländer und ausländische Betriebe nach China kommen, sind sie anfangs oft der Meinung: ,wir sind hier, um denen zu zeigen, wie man die Dinge richtig macht.' Das ist eine sehr koloniale Haltung und viele Chinesen hatten es auch. Wenn ein gemischtes Team aber gut zusammenarbeitet, dann bedeutet dies, dass man gelernt hat, diese Haltung abzulegen. Man muss nicht nur andere Kulturen akzeptieren, sondern in der Praxis sich von kulturellen Vorurteilen - einschließlich seinen eigenen - fernhalten, um einen anderen Weg der Zusammenarbeit zu finden."

Obwohl Nikita den Denkweisen ihrer chinesischen Partner nicht ganz zustimmt, gibt sie zu: "Bei der Problemlösung denken die Chinesen immer anders als die Ausländer. Sie haben ihre eigenen Methoden, sind viel geduldiger, umsichtiger und flexibler. Tritt ein Problem auf, sagen die Chinesen immer: ,Warte mal, wie wäre es, wenn man dies tut? Und was würde herauskommen, wenn man jenes tut?' Das ist die chinesische Lebensphilosophie: Erst wägen, dann wagen."

Nikita sagt: "Chinesen haben ein gutes Gedächtnis und sind beim Abwickeln von Geschäften sehr vorsichtig. Auf die zu diskutierenden Probleme bereiten sie sich sehr gewissenhaft vor. An einem langfristigen Arbeitsplatz können sie sehr viel leisten. Sowohl in den Verhandlungen als auch in der Routinearbeit kommen ihnen ihre Gelassenheit und ihr Selbstvertrauen sehr zugute."

Während einer Sitzung haben chinesische Chefs üblicherweise den wichtigsten Platz inne, neben ihnen sind die zweit- und drittwichtigsten Persönlichkeiten im Unternehmen zu finden. Es wird von den Chefs erwartet, dass ihre Untergebenen sie mit ihrem Titel anreden. Die meisten chinesischen Unternehmer können den "informellen Umgang" zwischen Chefs und Mitarbeitern, wie er in den USA gang und gäbe ist, nicht verstehen oder tolerieren.

Guines arbeitet in einer typisch chinesischen Werft in Ningbo, Provinz Zhejiang. Er hat den Eindruck, dass chinesische Direktoren in der Regel bei Entscheidungen nach Einstimmigkeit suchen. Sagt ein Chef "ja", kann eine Sache nicht unbedingt bewilligt werden, sagt aber nur ein Chef "nein", kann die Entscheidung erst dann gefällt werden, wenn er schlussendlich doch einverstanden ist.

Was Guines besonders beeindruckte, war die Rede seines chinesischen Chefs auf einem feierlichen Bankett: "Dank der sorgfältigen Fürsorge der Amtsleiter und der persönlichen Instruktion der Betriebsleitung...". Die ausländischen Ingenieure, die zur technischen Unterstützung in die Werft kamen, schüttelten ständig den Kopf und zeigten eine unverständliche aber auch hilflose Miene, als sie die Übersetzung der Worte hörten. Einer der ausländischen Zuhörer konnte sich nicht zurückhalten und beschwerte sich verärgert: "Ihr Chef lügt! Ich instruierte die Montage und Fehleranalyse. Die Betriebsleitung war nur einmal kurz anwesend, und die Amtsleiter erschienen überhaupt nicht." Ein chinesischer Mitarbeiter erklärte ihm, dass die Worte des Chefs keinesfalls eine Lüge sind, sondern vielmehr Ausdruck einer gängigen Praxis: In China soll alles in Verbindung mit der Geschäftsleitung stehen.

Sicherlich gibt es in chinesischen Unternehmern viele einzigartige Besonderheiten und manche dieser Besonderheiten bringen gar Nachteile mit sich, doch sind viele Unternehmer aufgeschlossen, verfügen über ein breites Blickfeld, informieren sich viel und umfangreich und sind Innovationen durchaus aufgeschlossen. Es hat sich schon oft gezeigt, dass so manche schablonenhafte Vorstellung von Abendländern eines Besseren belehrt wurde.

 
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