11/2005
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Deutschland und Deutsche in meinen Augen

Von Zhu Qinghua

Ich war als DAAD-Stipendiat ein halbes Jahr in Deutschland, um meine Doktorarbeit vorzubereiten. Ich lebte während dieser Zeit in Wuppertal, einer kleinen Stadt in einem großen Industriegebiet. Man hatte mir erzählt, dass die Landschaft um Wuppertal nicht die schönste und die kulturelle Tradition der Stadt nicht gerade die beste in Deutschland sei – Wupprtal sei eben eine alte Industriestadt. Ich traf dort Mitte Oktober ein. Nachdem ich meinen Platz in einem Studentenheim gefunden hatte, blickte ich lange aus dem Zimmerfenster. Draußen stand ein junger, aber doch schon hoher Ahorn mit hellgelben Blättern, der mir gefiel. Ich habe mich gleich in diesen Ort verliebt. Später fand ich heraus, dass in dieser Gegend sehr viele Bäume standen, richtige kleine Wälder, in denen es zahlreiche Vögel gab, die bei Tage und manchmal auch nachts zwitscherten und pfiffen. Ein Freund hatte mir erzählt, dass Deutsche den Wald und überhaupt Dinge aus Holz mögen. Als ich eine deutsche Familie besuchte, sah ich mich aufmerksam um und stellte fest, dass es wirklich so war. Parkettfußboden, Regale, Tische und Stühle waren aus Holz. Neben den vielen Bäumen ist mir besonders aufgefallen, dass die Flüsse in Deutschland sehr sauber sind. Man nimmt es hier mit dem Schutz der Umwelt und der Natur sehr genau.

Bevor ich nach Deutschland flog, war ich natürlich neugierig auf die Deutschen. In der deutschen Geschichte gab es doch so viele großartige Philosophen und Wissenschaftler. Sind die Deutschen vielleicht zu ernsthaft und etwas kühl? Vor 60 Jahren ging in Deutschland das Naziregime im Zweiten Weltkrieg unter - und heute gibt es dort Neonazismus. Ich fragte mich auch, ob die Deutschen wohl kampflustig und feindselig Ausländern gegenüber sind. Erleichtert fühlte ich mich, als ich dann persönlichen Kontakt zu Deutschen hatte. Als ich mit zwei riesigen Koffern von Frankfurt nach Wuppertal mit dem Zug fuhr, halfen mir Leute, meine schweren Koffer zu tragen. Der Zugschaffner erklärte mir, wie und wo ich in einen anderen Zug umzusteigen hätte und bat einen jungen Mann, mir dabei zu helfen. Ich war tief beeindruckt. Während meines Aufenthalts in Deutschland traf ich viele gastfreundliche und hilfsbereite Deutsche. Eine Freundin erzählte mir, dass sie einmal mit einem anderen Mädchen in eine ihnen fremde Stadt mit dem Zug fahren wollte und ein älteres Ehepaar nach dem Weg zum Bahnhof fragte. Das Paar sagte ihnen genau, mit welcher Buslinie sie zum Bahnhof fahren könnten. Dann brachten sie die beiden Mädchen sogar zur Bushaltestelle und baten den Busfahrer, den beiden Mädchen zu sagen, wann sie aussteigen müssten. Mein Eindruck ist, dass Deutsche meist freundlich und hilfreich sind. Meinen slowakischen Nachbarn hat die Ehrlichkeit der Deutschen beeindruckt. Einmal hatte er seine Tasche, in der sein MP3 Player, Handy, Geld und seine Ausweise waren, in der Mensa vergessen und war schon mitten in der Stadt. Da erst vermisste er seine Tasche; inzwischen waren aber schon fünf Stunden vergangen. Mit dem Bus fuhr er in die Universität zurück. Dort fand er seine Tasche unberührt auf dem Tisch in der leeren Mensa liegen, eben dort, wo er sie vergessen hatte. Das hat meinen Nachbarn zu seinem positiven Urteil über die Deutschen veranlasst.

Ich komme aus der geschäftigen Stadt Beijing und fand das Leben in Wuppertal viel gemütlicher und komfortabler als bei uns. Vielleicht ist das die Besonderheit einer kleinen Stadt. In der Stadt gibt es viele Cafés. Sich dort mit Freunden bei einer Tasse Kaffee zu unterhalten, ist recht angenehm. Viele Studenten mögen die Cafeteria in der Mensa. Ich war oft mit Freunden dort, um zu lesen oder zu diskutieren.

Im Gegensatz zum guten Ruf, den manche Institutionen aufgrund ihrer angeblich hohen Effizienz genießen, habe ich von vielen chinesischen Studenten Klagen über die Ineffizienz von Büros und Unternehmen gehört. Einige waren sehr enttäuscht. Meine Freunde beantragten im März die Installierung einer Telefonleitung und eines Internetanschlusses für ihre Wohnung. Ihnen wurde gesagt, dass die Leitung im Juni installiert werden würde. Nachdem sie erfahren mussten, dass auch dieser Termin nicht gehalten werden konnte, überrascht sie die deutsche Ineffizienz nicht mehr und nun üben sie sich in Geduld.

In Deutschland wurde ich von einigen Deutschen gefragt, welche Unterschiede es zwischen Deutschland und China bzw. zwischen Deutschen und Chinesen gebe. Es war für mich schwierig, diese Frage zu beantworten. In der heutigen, modernen Zeit, in der die Globalisierung fast die ganze Welt umfasst, ist es auch für einen Ausländer nicht so einfach, echte Unterschiede zu bemerken. In Beijing wie in Wuppertal gibt es Busse und Autos auf der Straße. Allerdings hat Beijing keine Schwebebahn, während Wuppertal die längste Schwebebahnlinie Europas hat; sie ist eine Besonderheit der Stadt. Die Bewohner beider Städte arbeiten in Fabriken, Unternehmen oder modernen Büros. Die Arbeitsabläufe werden sicherlich gleich oder ähnlich sein. Das Internet und andere Kommunikationsmittel machen die Welt immer kleiner. Welche Unterschiede gibt es denn noch? Vielleicht bei den Nahrungsmitteln? Ja, wir essen nicht so viel Butter und Käse. Wir essen zu Abend meist nicht kalt. Und sie benutzen keine Essstäbchen. Sie trinken Tee mit Zucker, was normalerweise bei uns nicht üblich ist. Aber diese Unterschiede sind für jeden offensichtlich und vielleicht auch nicht sehr bedeutend. Ein Gespräch mit einem deutschen Professor und seiner Frau hat mich inspiriert. Der Professor kam nach Beijing, als ich schon nach China zurückgekehrt war. Er war von den großen Veränderungen in Beijing und der Energie der Beijinger sehr beeindruckt. Wir haben auch über die Unterschiede zwischen Deutschen und Chinesen diskutiert. Wir stellten übereinstimmend fest, dass Deutsche eher idealistisch und Chinesen eher flexibel und pragmatisch orientiert sind. Er fand es erstaunlich und verwunderlich, dass in einem taoistischen Tempel Buddha- und Konfuziusstatuen stehen und verehrt werden. Ebenso überraschte ihn die Feststellung, dass in einem buddhistischen Tempel außer Buddha auch Götterfiguren zu sehen sind. In seiner Religion sei das ganz unmöglich. Vielleicht ist das ein Unterschied, der für andere unsere Tradition und Geschichte interessant macht.

 
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