11/2005
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Mit dem Bus fahren

Von Zhou Jian

Nachdem ich 1997 mein Studium abgeschlossen hatte, mieteten mein Mann und ich eine Wohnung am nördlichen Rand der dritten Ringstraße. Zur Arbeit fuhr ich erst mit der Buslinie 302 und dann mit der Linie 320, die in die Nähe meines Arbeitsplatzes führt. Im Bus der Linie 302 herrscht zu Arbeitsbeginn und -ende immer ein sehr starkes Gedränge, sobald er auf die dritte Ringstraße kommt. Als ich einmal außerhalb der Hauptverkehrszeit mit dieser Linie fuhr, wurde ich Ohrenzeuge des Gesprächs zweier Frauen, die neben mir an der mittleren Bustür standen. Die eine, die anscheinend oft diese Linie benutzte, zeigte auf die etwa 1 m² große Fläche zwischen der mittleren Bustür und dem nächsten Sitz und sagte zur anderen: „Du glaubst es vielleicht nicht, aber hier stehen während der Hauptverkehrszeit oft mehr als fünf Personen. Zum Feierabend, gegen fünf Uhr nachmittags, tauchen plötzlich alle an der Haltestelle auf, als ob sie ein Trompetensignal zum Sammeln gehört hätten.“ Ein anderes Mal musste ich in dieser Linie vier Stationen weiter fahren, als ich wollte, weil ich aus dem übervollen nicht hinaus kam, der Weg zur Tür war von Menschenmassen versperrt. Also musste ich an meiner Wohnung vorbeifahren und konnte erst vier Haltestellen später an der Hauptstation Liangmaqiao aussteigen, weil da immer viele den Bus verlassen. Nun fuhr ich also wieder vier Stationen zurück bis zu meiner Wohnung – es war an diesem Tage ein sehr unerfreuliches Buserlebnis für mich.

Inzwischen haben sich die Busverkehrsbedingungen in Beijing beachtlich verbessert. Heute gibt es zahlreiche Busse mit Klimaanlage. Auch die Busse ohne Klimaanlage sind meist neueren Typs. Bis Ende 2004 gab es in der Hauptstadt 24 153 Busse verschiedener Typen auf 750 Linien. Es wurden im ganzen Jahr 2004 insgesamt 4,36 Mrd. Fahrkarten verkauft. Von den 9019 umweltfreundlichen Bussen, die mit sauberem Brennstoff fahren, sind 2017 mit dem CNG-Motor der US-amerikanischen Motorfirma Cummins ausgestattet. Damit ist Beijing weltweit die Stadt mit den meisten mit Erdgas fahrenden Bussen.

Ende 2000 zog ich ins Wohnviertel Yuhaiyuan um, wo ich heute immer noch wohne. Von Yuhaiyuan aus führen die Buslinien 701 und 603 direkt in die Nähe meiner Arbeitseinheit. Einmal sagte ein Praktikant aus Deutschland, der einen Monat bei uns arbeitete, zu mir: „Ich fahre immer mit dem O-Bus 102 vom Beijinger Südbahnhof zur Arbeit. Der Bus fährt langsam und ist immer voll. Da habe ich bemerkt, dass in diesem Bus niemand einer älteren Person seinen Sitz anbietet. Ist das in anderen Bussen auch so?“ Ich konnte das guten Gewissens verneinen. Wenn ich mit dem Bus fahre, mache ich selbst anderen, wenn sie alt oder schwanger sind oder mir einfach etwas kränklich erscheinen, gern Platz. Ich konnte auch häufig mit eigenen Augen beobachten, dass viele andere es wie ich hielten.

Natürlich kann in einem Bus manchmal auch Unangenehmes passieren, besonders wenn starkes Gedränge herrscht und alle zur Arbeit eilen. Da haben nur wenige gute Laune und es kommt leicht zu Streitigkeiten. Noch schlimmer ist, dass manche Fahrgäste es selbstverständlich finden, dass man in einem vollgedrängten Bus nicht so sehr höflich miteinander umgeht. Da hört man: „Au! Du trittst mir auf den Fuß.“ – „Na und? Das passiert eben im Gedränge! Hast Du nicht gehört, dass ich ,Verzeihung‘ gesagt habe? Nimm keinen Bus, wenn du so sensibel bist“...

Um die Entwicklung des öffentlichen Verkehrswesens voranzutreiben, bemüht man sich um effektive Maßnahmen. Zur Zeit wird in der Öffentlichkeit viel darüber diskutiert, ob die Monatskarte für Busse abgeschafft werden soll. Die Befürworter der Abschaffung vertreten die Ansicht, dass die Busmonatskarte ein Produkt der Planwirtschaft sei und möglichst bald abgeschafft werden sollte, weil heute der öffentliche Verkehr trotz Subventionierung durch die Regierung immer noch Verluste zu verzeichnen habe. Das habe leider dazu geführt, dass der Service der öffentlichen Verkehrsunternehmen unbefriedigend sei und die alten Busse nur sehr langsam durch neuere ersetzt werden könnten. Die Gegner dieser Ansicht argumentieren, dass die niedrigen Preise für die öffentlichen Verkehrsmittel eine soziale Leistung seien, weswegen die Verkehrsunternehmen auch nicht gewinnorientiert arbeiten müssten. Tatsächlich kann man schon seit einigen Jahren mit der Monatskarte nicht mehr alle Buslinien benutzen. Vor allem für die mit einer Klimaanlage versehenen Busse und die neueren Typen gilt die Monatskarte nicht mehr. Außerdem werden Monatskarten, weil sie eben so preisgünstig sind (Eine Busmonatskarte kostet in Beijing 20 Yuan/ca. 2 Euro bzw. 40 Yuan/ca. 4 Euro, eine U-Bahnmonatskarte 75 Yuan/ca. 7,5 Euro), häufig gefälscht und auf dem „Schwarzmarkt“ gehandelt. Aber auch die echten werden dort gehandelt! Abgesehen vom niedrigen Preis liegt ein Grund für den Schwarzhandel darin, dass die Nachfrage das tatsächliche Angebot weit übersteigt. In Beijing, der einzigen Großstadt Chinas, in der Busmonatskarten noch Gültigkeit besitzen, dürfen nur die Einheimischen und Studenten Busmonatskarten kaufen. Doch von den knapp 15 Mio. Bewohnern der Hauptstadt Chinas kommen 3,866 Mio. aus den Provinzen, und zwar mehrheitlich vom Land. Nach den geltenden Bestimmungen haben sie kein Anrecht auf eine Busmonatskarte. Aber gerade sie, die meist zu den Geringverdienenden gehören, brauchen eine solche Monatskarte dringend! Den Fahrkartenpreis niedrig zu halten, ist meiner Meinung nach eine gute Lösung des Problems. Heute kostet eine Busfahrt in der Regel 1 bis 2 Yuan (0,1 bis 0,2 Euro), dank des niedrigen Fahrkartenpreises sind Busse immer noch ein bevorzugtes und beliebtes Verkehrsmittel der Stadtbewohner.

Zwar gibt es noch viele Probleme mit der hauptstädtischen Busfahrerei, ich jedoch finde es ganz bequem, später als zum üblichen Arbeitsbeginn mit der Linie 603 zu fahren. Ich habe glücklicherweise eine flexible Arbeitszeit und kann die Stoßzeiten meiden. Ich kann mir sogar einen Sitz am Fenster aussuchen, denn fast alle Sitzplätze im Bus sind frei. Während der Fahrt kann ich entspannt an dieses und jenes denken oder einfach zum Fenster hinaussehen. Das ist weniger anstrengend, als mit dem eigenen Auto zu fahren. Wenn ich mit dem Bus fahre, gibt es auf den Straßen nur wenig Verkehr. Wenn ich dann aussteige, spaziere ich etwa 15 Minuten durch eine breite Fußgängerzone, was meiner Gesundheit sehr gut tut, denn während der Arbeit muss ich immer lange vor dem Computer sitzen.

 
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