09/2005
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Das Glas auf Tibet erheben

Von Mitarbeiterin Zhang Hong

 
     

In den 1980er Jahren unternahm eine Gruppe von Bewohnern des Landesinneren die lange Reise nach Tibet, um am eigenen Leib die dortige mystische Schönheit zu erleben. Viele dieser frühen Abenteurer waren Künstler, Musiker und Schriftsteller. Die Autorin Ma Lihua lebte beinahe 30 Jahre in Lhasa. Sie sagt, dass zu jener Zeit mehr Künstler und Schriftsteller in Lhasa lebten als in sonst einer chinesischen Stadt. Der Künstler Cao Yong, der heute in den USA lebt, sagt: „Tibet ist der Ort, an dem meine Lebenskraft zum Vorschein gekommen ist – der Ort, der mir die wahre Bedeutung des Lebens aufgezeigt hat.“

Ewige Jugend

Vor zehn Jahren schuf der Künstler Yu Xiaodong ein Ölgemälde mit dem Titel Bottoms Up to Tibet. Eine offensichtliche Anspielung auf Leonardo da Vincis Letztes Abendmahl porträtiert es 23 Künstler, Musiker, Dichter und Schriftsteller, die ihr Glas zu einem Trinkspruch erheben. Alle von ihnen kamen in den 1980er Jahren nach Tibet, und jeder bzw. jede einzelne hat eine eigene Geschichte.

Yu Xiaodong kam 1986 nach Tibet. Er lebte in einem Lehmhaus und aß aus einem riesigen Eisenwok, in dem er mit einer Eisenschaufel kochte. Yu sah den blauen Himmel Tibets, die weißen Wolken, schneebedeckte Berge und die lokale Oper. Er blieb dort bis 1997.

Bottoms Up to Tibet hatte einen großen Einfluss auf Yu Xiaodongs künstlerische Karriere. Jede Person, die in dem Bild abgebildete wurde, spielte eine Rolle in Tibets zeitgenössischen künstlerischen und literarischen Kreisen und vertrat eine neue tibetische Kultur, die ihr Zentrum in Lhasa hatte. Yu Xiaodongs Gemälde hielt den Moment fest, in dem diese jungen Künstler im Bewusstsein der Tatsache, dass ihre Jugend vorbeiging und sich familiäre und gesellschaftliche Verpflichtungen bedrohlich abzeichneten, sie aber doch noch immer von der Erfahrung in Tibet angefeuert waren, sich jedoch ihrem bevorstehendem Abschied fügen mussten.

Yu Xiaodongs Erfahrungen in Tibet statteten ihn mit einem künstlerischen Thema für sein ganzes Leben aus. Lhasa wird ihn immer anziehen und inspirieren.

Ein Lebensstil

Wen Pulin kam 1986 nach Tibet. Wen war Absolvent der Zentralen Akademie für bildende Kunst und machte über eine Dekade lang immer wieder Aufenthalte in Tibet. Er freundete sich mit Mönchen an, adoptierte einen tibetischen Sohn und leistete einen Beitrag zum Bau der Gedächtnishalle für König Gesar. Sein erster zweimonatiger Aufenthalt beeindruckte ihn am meisten, da es das erste Jahr der Wiedereinführung des Shoton-Festes war. Bei dieser großen Zeremonie wird ein gigantisches Bild von Buddha in die Sonne gelegt und ausgestellt. Wen sah, wie tausende Tibeter in Hada gewickeltes Geld auf das große Tangka warfen. Die Frömmigkeit dieser religiösen Handlung rührte Wen zu Tränen. Das war auch das Jahr, in dem Wen zum ersten Mal eine tibetische Oper sah, die im Freien von wunderschönen Frauen aufgeführt wurde, denen er kaum in die Augen zu blicken wagte.

Wens tiefe Verbindung zu Tibet wurde 1989 besiegelt, als er nach Qingpu ging, um die Pilger zu treffen, die sich dort versammelten. Durch sie begann er die Bedeutung von der Zeit und dem Leben an sich zu verstehen. Wen verbrachte seine unbeschwertesten Tage in Qingpu, dachte nie an das Morgen, schlief in Klöstern während der Nacht und reiste mit einer tibetischen Operntruppe tagsüber. Seine täglichen Bedürfnisse ließen sich durch ein Lächeln und eine Schale geröstetes Mehl befriedigen. Ungefähr zu dieser Zeit drehte er seinen Dokumentarfilm Qingpu. Wen sieht die tibetische Kultur als eine, die sich direkt dem Tod zuwendet, an. Für Tibeter ist das Leben nicht viel mehr als eine natürliche, gemächliche und poetische Vorbereitung auf den Tod.

Wen drehte weitere Dokumentarfilme und publizierte einige literarische Skizzen über Tibet. Er wurde vor kurzem Chefredakteur des Tibet Geographic. Der nun in Beijing lebende Wen hat sein Herz an Tibet verloren.

 
     

Die Quelle der Inspiration

„Wenn man sich in einer spirituellen Notlage befindet, kann man immer auf Tibet zählen“, sagt der Schriftsteller Ma Yuan.

Vor ein paar Jahren wurde Ma Yuans Sammlung von Kurzgeschichten Little Men of Lhasa publiziert. Yu Xiaodongs Gemälde Bottoms Up to Tibet war auf dem Umschlag. Ma Yuan ist ein repräsentativer Avantgarde-Schriftsteller, lebte sieben Jahre lang in Tibet und ist nun geschäftsführender Direktor des Chinesisch-Instituts der Shanghaier Tongji-Universität. Seine Texte über Tibet machen nur ein Fünftel seiner Arbeiten aus, sind aber seine bekanntesten.

Nach seinem Universitätsabschluss 1982 ging Ma nach Tibet. Ein Jahr danach fuhr er nach Hause mit vier Geschichten, die er geschrieben hatte. Sein Jahr in Tibet stellte die Weichen für Mas Karriere. Auf dem Nachhauseweg kam er durch den Kreis Guanxian in Sichuan. Es schneite sehr stark und Ma schloss sich in einem kalten Hotelzimmer ein, wickelte sich in eine Decke und schrieb. Da die wirkliche Welt ihn verstoßen zu haben schien, verblieb er zwei Wochen lang in einem tranceartigen Zustand und schrieb seine Temptation of the Kangdese. Es wurde ein Bestseller und stellte einen Meilenstein in der Geschichte der chinesischen Avantgarde-Literatur dar.

„Tibet ist die Welt der Gottheiten, wo einen ein Stein einlädt, ihn zu verehren und ein Baum eine Menschenmenge dazu bringt, ihn Gebetsmühlen drehend zu umkreisen und ihre Seelen in einen Zustand der Reinheit zu erheben“, sagt Ma.

Ma lebte in der Nähe des regionalen Fernsehsenders, einer Gesangs- und Tanztruppe und des Potala Palastes. Folglich wurde seine Wohnung zum Treffpunkt für Künstler aus dem Landesinneren. Eines Tages scherzte ein tibetischer Beamter mit Ma und sagte: „Ich habe gehört, dass Ihre Wohnung nun der zweite Allchinesische Bund der Literatur- und Kunstschaffenden geworden ist.“ Für Ma Yuan ist Tibet der Ort, wo Salons im wahrsten Sinn des Wortes existieren. Seitdem er Tibet verlassen hat, fühlt er sich leer und dem Schreiben abgeneigt.

Die Tibet-Mode

Dadurch, dass Künstler ihre Inspiration durch Tibet erhalten, entwicklen ihre Anhänger ein tieferes Interessse an der Region und ihrer Kultur. Der in der Zwischenzeit verstorbene Künstler Chen Yifei reiste einmal 2004 nach Tibet und schuf sein Ölgemälde Days of Sunshine. 2005 wurde das Werk um 4,4 Millionen Yuan in einer Auktion in Qinghai verkauft. Ma Lihuas 500 000 Schriftzeichen umfassender Reiseführer Going Through Tibet ist der Reiseführer für Tibetreisende geworden. Obwohl er einige Male nachgedruckt wurde, ist er noch immer schwer zu bekommen. Ma Lihua eröffnete vor kurzem ihr Tibet-Web – Chinas größte Website über tibetische Kultur.

Tibetische Musik ist im ganzen Lande beliebt. Das Lied The Qinghai-Tibet Plateau wird in ganz China gehört. Tibetische Waren – farbenfrohe Gebetsfahnen, Yakschädel, tibetische Opernmasken, Weihrauch und verschiedenen Schmuck – sieht man in mittleren und großen chinesischen Städten oft. Tibetische Medizin ist auch weit verbreitet und wird von den Bewohnern des Landesinneren als Essenz des tibetischen gütigen Mystizismus’ betrachtet.

 
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