09/2005
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Tibet – Wahrheit und Illusion

Im September 2005 ist der 40. Jahrestag der Gründung des Autonomen Gebiets Tibet. In Erwartung dieses Ereignisses wird unsere Zeitschrift in der Septemberausgabe eine Reihe von Berichten über die Region und ihre Bewohner (ca. 2,74 Millionen, davon 92% Tibeter) herausbringen.

Eindrücke von Tibet

 
     

Im September 2004 reisten die zwei Amerikaner Katy Walden und Jon Moggio zum ersten Mal nach Tibet und drehten dabei ihren Dokumentarfilm Tibet Diary, der von U.S Rainbow Network und China Intercontinental Communication Center (CICC) koproduziert wurde. Mit der Zustimmung von CICC publizieren wir in dieser Ausgabe Auszüge aus den Aufzeichnungen der zwei Amerikaner von ihren Abenteuern auf dem Plateau.

Sehen ist Glauben

Von Katy Walden

 
     

Ich war noch nie zuvor in Tibet. Der Grund, warum ich dorthin wollte, liegt zum Teil darin, dass ich in den letzten sechs Jahren in Amerika von 9-18 Uhr an Werktagen gearbeitet habe und mich ein wenig klaustrophobisch fühlte. Außerdem hatte ich gerade meine erste Hypothek aufgenommen, was das Gefühl der Klaustrophobie erheblich steigerte. Ich hatte also ein bisschen Reiselust und Tibet schien so weit weg wie nur möglich zu sein.

Vieles, was ich von Tibet wusste, beruhte auf der „Free Tibet“-Kampagne und Filmen, doch wusste ich nicht, wie realistisch sie waren in der Darstellung des täglichen Lebens der Tibeter. Ich wusste eigentlich auch nicht sehr viel über die politische Situation in Tibet, außer, dass es eine autonome Region war, die versucht, ihre Unabhängigkeit wiederzugewinnen, und dass es viele Kämpfe und Genozide und andere Dinge, von denen wir im Westen wahrscheinlich noch nie gehört haben, gegeben hatte. Ich war mir nicht sicher, wie meine Tibetreise politische Dinge beeinflussen würde. Ich machte mir Sorgen, dass sie die chinesische Regierung unterstützen und dazu beitragen könnte, Tibet in ein Tourismusgebiet im Stil von Disneyland zu verwandeln. Ich hatte Bedenken über die Reise, aber hatte gehört, dass es wichtig ist, die tibetische Kultur, wie sie sich heute präsentiert, anzusehen, darüber zu lernen und sie mit nach Hause zu nehmen.

Wir fuhren zuerst nach Xigaze, in die zweitgrößte Stadt in Tibet. Das ist einer der friedlichsten und ruhigsten Orte, die ich erlebt habe. Nach einem elfstündigen Flug, einem weiteren kürzeren Flug und einer Hinfahrt mit dem Bus, die zusammen mit der Rückfahrt acht Stunden lang über die staubigste und holprigste Straße, die ich jemals gesehen habe, führte, kamen wir an. Aber der Anblick der immensen Buddhastatue war den Aufwand wert.

Am Geburtstag meines Vaters konnte ich eine Telefonkarte benutzen, um ihn anzurufen. Was mir in Xigaze auffiel, war die unglaubliche Handy-Reichweite. Ich hätte mir nie gedacht, dass ich mitten in Tibet zu jeder Zeit Handys klingeln hören würde. Ich finde es wirklich beeindruckend, dass die Reichweite so stark ist, und dass ich Telefonkarten und das Internet benutzen konnte, um meine Verwandten zu Hause kontaktieren zu können.

Im tibetischen Teil der Stadt sprachen wir zum ersten Mal mit einem Tibeter. Er hat eine interessante Meinung zur Situation zwischen dem Landesinneren und Tibet aus der Sicht eines echten Tibeters geäußert. Er hat einen Blickwinkel, der mir tiefe Einsichten gab, und drückte seine Anerkennung für die chinesische Hilfe und Unterstützung aus. Er erzählte uns, dass tibetische Städte Partnerstädte im Landesinneren haben. Zum Beispiel finanziert Beijing Projekte in Lhasa und Shanghai in Xigaze. Es war interessant, zu hören, wie er seine ambivalenten Gefühle zu diesem Phänomen ausdrückte – einerseits werden dadurch Teile der tibetischen Kultur verändert, aber andererseits wird das Leben dadurch viel einfacher und es bietet vermehrte Chancen für die Tibeter.

Man kann sich leicht ausmalen, dass das Leben hier viel besser ist, als es früher war, was die Lebensbedingungen und den Zugang zu Verbrauchsgütern angeht. Ich bin sehr dankbar, dass ich manchen der amerikanischen Medien entkommen konnte und Tibet ein wenig besser kennen lernte durch die Leute, die ich dort traf. Auf der Barkhor-Straße trafen wir eine tibetische Frau, die dort einen kleinen Verkaufsstand führt. Sie ist seit ungefähr fünf Jahren dort und verkauft Souvenirs. Ihre Ware, eine faszinierende und vielseitige Mischung, kauft sie meistens in Tibet. Sie arbeitet jeden Tag und nimmt offensichtlich keinen Urlaub, aber sie ist glücklich, da der Handel ihr Leben verbessert hat.

Als ich mich auf der Barkhor-Straße hinsetzte, um mich auszuruhen, kam eine alte Frau und setzte sich zu mir. Sie sagte, „tashi dele“ (Hallo auf Tibetisch) und ich erwiderte ihren Gruß. Da wir uns nicht richtig unterhalten konnten, saßen wir nur nebeneinander, sahen den Vorübergehenden zu und kicherten. Es war diese Art von bedeutungsvollem wortlosem Austausch, den ich gerne mag.

Ich glaube, dass ich aus dieser Erfahrung viel von dem Erhofften bekommen habe. Ich wollte vor allem ein Drittweltland kennen lernen, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob es noch immer als Drittweltland gilt, da es ziemlich modernisiert zu sein scheint. Ich wollte eine andere Kultur kennen lernen, neue Leute treffen und unterschiedliche Dinge sehen und hören, was Tibet auf eine überwältigende positive Weise geboten hat. Die Landschaft war wunderschön, die Leute waren wunderbar und ich habe eine großartige Zeit damit verbracht, verschiedene Orte zu sehen. Ich finde, dass ich einige religiöse und kulturelle Aspekte gesehen habe, wie auch das Alltagsleben.

Ich hoffe, dass meine Erfahrung hier es mir ermöglicht, mit Leuten zu reden – besonders mit denen, die eine vereinfachte Meinung über die „Free Tibet“- Kampagne haben – und ihnen dabei, statt eine direkte Botschaft zu übermitteln, klar zu machen, dass die einzige Informationsquelle über Tibet, die sie haben, die amerikanischen Medien sind, und dass andere Gesichtspunkte existieren. Ich würde gerne meine Erfahrungen darüber mit anderen teilen.

Je mehr ich mit den Leuten redete, desto mehr fand ich heraus, dass sie eigentlich der chinesischen Regierung richtig dankbar sind für die Verbesserung ihres Lebensstandards und für die neuen Möglichkeiten, die sich ihnen bieten. Was Ausbildung und Verbrauchsgüter angeht, haben sie sicher viel mehr Auswahl als vor fünfzig Jahren. Die Ausbildung gibt ihnen die Möglichkeit, Tibetisch, Chinesisch und Englisch zu lernen. Für mich war es beeindruckend zu sehen, dass sie auch noch immer Tibetisch lernen neben den anderen zwei Sprachen. Es scheint so zu sein, dass Tibeter ihre eigene Kultur und Identität behalten, während sie den Wandel und die Moderne aufnehmen und ein besseres Leben führen.

 
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