09/2005
Ihre Position: Homepage >

Jung und Arbeitslos

Von Lu Rucai

 
     

Einer von elf Unterdreißigjährigen in China ist arbeitslos. Diese alarmierende Statistik ist Teil der Ersten Studie über Chinas Jugendbeschäftigung, durchgeführt von der Gesamtchinesischen Jugendliga und dem Institut für Arbeitswissenschaft des Ministeriums für Arbeit und Sozialabsicherung im Mai 2005. Befragt wurden 7000 Einzelpersonen unter 30 Jahren und 220 Unternehmen in vier Städten – Dalian, Tianjin, Changsha und Liuzhou. Die Ergebnisse zeigen, dass 9 Prozent der jungen Leute arbeitslos sind; der landesweite Durchschnittswert liegt bei 6,1 Prozent. Die meisten der jungen Arbeitslosen sind bereits seit längerer Zeit ohne Anstellung. In ihrer großen Anzahl stellen sie eine neue arbeitslose Gemeinschaft dar.

Weniger Ausbildung, weniger Chancen

Die Studie ergab, dass 37 Prozent der jungen Arbeitslosen Abgänger von Berufsschulen sind, 30 Prozent ihre Bildung nach der Mittelschule unterer Stufe beendet haben und 13 Prozent Abiturienten oder Fachhochschulabsolventen sind. Nur fünf Prozent haben ein agbeschlossenes Hochschulstudium. Mehr als 60 Prozent der jungen Arbeitslosen meinen, dass die geringe akademische Ausbildung ihr größtes Problem darstellt, und 46,7 Prozent glauben, dass sie mindestens einen Bachelor-Abschluss vorweisen müssten, um einen guten Job zu bekommen.

Nachdem er die Hochschulaufnahmeprüfung nicht bestanden hatte, besuchte Zhou Qiang, der aus Beijing stammt, eine technische Berufsschule, an der er Buchhaltung lernte. Da alle Abgänger seiner Schule vor ihm gute Jobs gefunden hatten, machte er sich keine Sorgen um sein zukünftiges Arbeitsleben. Sein großer Fehler war jedoch, nicht zu berücksichtigen, dass China 1999 die Zulassung zu Universitäten erweitert hatte. Die erste Welle der Jungakademiker dieses Einschreibungsbooms graduierte 2003, ein Jahr vor Zhou Qiang, was hieß, dass 1,6 Millionen Universitätsabsolventen vor ihm in der Jobschlange standen. Als Zhou 2004 seine Ausbildung abschloss, musste er mit 2,2 Millionen weiteren Absolventen auf der Suche nach einem Arbeitsplatz konkurrieren.

Zhou Qiang war optimistisch, als er seine erste Bewerbung schrieb – als Kassierer in einem staatlichen Betrieb. Da er ein Einwohner Beijings ist, glaubte er Vorteile gegenüber Bewerbern von außerhalb zu haben und dachte nicht, dass ein Job mit dem Verdienst von 1500 Yuan monatlich für Universitätsabsolventen attraktiv sei. Aber Zhou hatte sich geirrt. Es gab mehr als 200 Bewerber, von denen 30 zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurden. Zhou kam nicht über die erste Runde hinaus und auch seine weiteren Bemühungen, einen Job zu finden, endeten ähnlich. „Die Stellen, um die ich mich bewerbe, verlangen keine Ausbildung, die höher ist als meine“, erklärt Zhou. Aber hat ein Arbeitgeber die Wahl zwischen einem Universitätsabsolventen und jemandem, der seine Ausbildung an der Berufsschule abgeschlossen hat, so fällt die Entscheidung eher zugunsten des Ersteren.

Zhou arbeitet gelegentlich als Komparse, verbringt jedoch seine meiste Zeit damit, Internetspiele zu spielen oder Freunde zu treffen.

Laut Zhang Libin, Forscher am Institut für Arbeitswissenschaft und Teilnehmer der Studie, kommen jährlich 20 Millionen Chinesen im arbeitsfähigen Alter hinzu, 10 bis 1,6 Millionen von ihnen steuern gleich den Arbeitsmarkt an, da sie nicht in das begrenzte System der Hochschulen vordringen können. Ein Mangel an Berufserfahrung stellt sie in eine unvorteilhafte Situation auf dem Arbeitsmarkt. Von den an der Studie beteiligten jugen Leuten arbeiten 70 Prozent in Fabriken oder im unteren Dienstleistungssektor, wie sozialen Diensten (10 Prozent) und im Groß- und Einzelhandel (15 Prozent). Zhang Libin führt diese Verteilung auf die Arbeitsintensivität dieser Bereiche zurück sowie auf den Mangel an Leistungsfähigkeit der jungen Leute, in qualifizierten Jobs zu arbeiten.

Jobsucher in der Zwickmühle: keine Arbeit ohne Berufserfahrung

Befragte Arbeitgeber sind sich einig darüber, dass junge Graduierte wenig praktische Erfahrung bzw. Know-how haben. Daher werden ihnen oft ältere Bewerber mit Berufserfahrung vorgezogen.

Yao Wanli ist Englisch-Absolventin des Beijinger Institus für Wissenschaftlich-Technisches Management. Obwohl sie ihre Jobsuche lange vor Abschluss des Studiums begonnen hatte, fand sie nur einen monatlich 1500 Yuan-Job als Bürokauffrau im Peninsula Palace Beijing Business Center. Aufgrund des geringen Stellenwertes ihrer Universität und ihrer nicht vorhandenen Arbeitserfahrung war nichts anderes für sie zu finden. Nach sechs Monaten kündigte sie, weil sie „die intriganten Beziehungen unter den Mitarbeitern“ nicht ausstehen konnte.

Yaos Freund meint, dass sowohl Fachwissen als auch ein gutes Verhältnis zu Kollegen sehr wichtig für den beruflichen Erfolg seien. Er riet Yao dazu als Übersetzerin zu arbeiten, da diese Art Job ihrem Hauptfach entspreche. Aber es stellte sich heraus, dass keine Firma sie als Übersetzerin einstellen wollte, da sie noch nie als solche gearbeitet hatte.

Yao arbeitet noch immer als Büroangestellte, jetzt aber in einer Firma für Wissenschaft und Technologie. Ihr Plan ist es, mit der Arbeit aufzuhören, sobald sie heiratet, und ins Berufsleben zurückzukehren, wenn ihr Kind in die Schule geht. Aber sie weiß auch, was sie dann erwartet: „ Auch wenn ich nicht abgewiesen werden sollte, wie es mir viele Male passiert ist, weil ich keine Berufserfahrung habe, werde ich wieder ganz von vorne beginnen müssen.“

Cheng Jun, Geschäftsführer der Taihongji-Immobilienfirma Beijing, sieht das Dilemma der jungen Leute heute darin, dass sie ohne Berufserfahrung keinen gut bezahlten Arbeitsplatz angeboten bekommen, sie aber auch nicht bereit sind, ihre Ansprüche herunterzuschrauben. Folglich blieben sie arbeitslos in der Hoffnung, ihre Situation bessere sich mit der Zeit. Wenn sich jedoch eines Tages eine gute Chance bieten sollte, dann nicht für diejenigen, die noch nie gearbeitet haben.

Leben auf Kosten der Eltern

Die Studie zeigt, dass 72 Prozent der jungen Arbeitslosen seit einem Jahr oder bereits länger ohne Anstellung sind, und dass nur 13 Prozent Weiter- oder Fortbildungskurse während dieser Zeit belegt haben. Die meisten vertreiben sich die Zeit damit, im Haushalt zu helfen oder Freunde zu treffen.

Wang Ting suchte sechs Monate lang erfolglos einen ihrem Hauptfach entsprechenden Job, nachdem sie ihren Abschluss an der Fakultät Chinesisch der Nanyang- Universität in Henan gemacht hatte. Während dieser Zeit lebte sie von 300 Yuan monatlich, was sie sich als Schreibkraft im Büro eines Freundes verdiente. Auf das Bestehen ihrer Eltern hin, kehrte Wang zurück in ihren in einem kleinen Kreis in der Provinz Shandong gelegenen Heimatort, wo die 1000 Yuan, die ihr Vater im Monat durch seine Arbeit in einer Regierungsabteilung verdient, die einzige finanzielle Unterstützung der dreiköpfigen Familien sind. Einige Monate später empfahl ein Freund ihres Vaters sie als Aushilfslehrerin in einer örtlichen Grundschule, doch sie nahm diese Möglichkeit nicht wahr und zog es vor, weiterhin täglich im Internet zu surfen und zu lesen. Ihre Mutter ist nicht erfreut über die Situation ihrer Tochter: „ Sie hat vor über einem Jahr ihren Abschluss gemacht und lebt noch immer von unserem Geld. Als einziges Kind der Familie nimmt sie es für selbstverständlich, dass wir sie unterstützen.“ Wenn sie einen Blick auf ihre Nachbarn wirft, stellt Wangs Mutter jedoch fest, dass viele Familien das gleiche Problem haben.

Professor Sun Liping von der Tsinghua-Universität war einer der ersten Gelehrten in China, der das Problem Chinas „neuer arbeitslosen Gemeinschaft“ aufgeworfen hat. Seine Meinung spiegelt sich in den Resultaten der Studie wider: die meisten der jungen Arbeitslosen wurden Ende der 70er bzw. Anfang der 80er Jahre geboren und als erste Generation von Einzelkindern in ihren Familien wurden sie in jeder Hinsicht verwöhnt – materiell und moralisch. Als Erwachsene bleiben viele von ihnen finanziell abhängig von ihren Eltern, die, sobald sie in Ruhestand gehen, eine enorme Kürzung ihres Einkommens erfahren. In der Tat wird der finanzielle Druck der jungen Arbeitslosen zum großen Teil auf ihre Eltern geschoben.

Die neue arbeitslose Gemeinschaft verstehen

„Heute Arbeit, morgen keine Arbeit und übermorgen wieder Arbeit. Das ist das Leben vieler junger Leute heute,“ beobachtet Professor Sun Liping. Laut Sun ist der Arbeitsmarkt unterteilt in ein oberes Ende für die städtische Bevölkerung und ein unteres Ende für die ländlichen Wanderarbeiter. Ein dutzend Jahre an prüfungsorientierter Ausbildung gibt der neuen arbeitslosen Generation nicht die praktischen Skills, die sie braucht, um auch am oberen Ende des Arbeitsmarktes bestehen zu können. Auch sind sie nicht für körperliche Arbeit geeignet, berücksichtigt man ihren schwächlichen Körperbau und ihre verwöhnte Kindheit. „Aber wir sollten die jungen Leute nicht dafür beschuldigen, nicht geeignet zu sein, einen höheren Posten anzunehmen oder nicht willig einen niedrigeren,“ glaubt Sun. „Das niedrigere Gehalt des unteren Endes des Arbeitsmarktes ist OK für ländliche Arbeiter, weil es nicht die hohen Lebenskosten von professionellen Posten mit sich bringt. Junge arbeitslose Städter müssen städtische Lebenshaltungskosten aufbringen, wie das Kaufen oder Mieten einer Wohnung, und sie müssen sich ebenfalls finanziell vorbereiten zu heiraten. Bei unserer Studie ist uns aufgefallen, dass viele in der Tat in niedrigen Arbeitsverhältnissen gestanden haben, aber ihre Arbeit aufgeben mussten, weil sie mehr ausgaben als verdienten.“

Die meisten der neuen arbeitslosen Generation sind um die 20 und 30 Jahre alt – das Alter, um eine Familie zu gründen. Die Tatsache jedoch, dass sie kein festes Einkommen haben, erhöht die finanziellen Lasten eines Haushaltes, und stellt eine Bedrohung für Chinas soziale Stabilität dar.

„Berücksichtigt man die begrenzten Arbeitsmöglichkeiten, so sollte das Sozialabsicherungssystem in der Hinsicht abgestimmt werden, dass es mehr Chancen für arbeitssuchende junge Leute schafft“, schlägt Professor Sun vor. Jiang Zhonglian, Mitglied der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes, glaubt, dass man mit Management sowie effektiver Weiterbildung der arbeitslosen Gemeinschaft helfen könnte. Aber wie ein Sprichwort schon sagt, du kannst ein Pferd zu Brunnen führen, aber trinken muss es von alleine. Niemand kann das Leben der jungen Arbeitslosen ändern, außer ihnen selbst.


(Reporterin Zhang Juan hat ebenfalls zu diesem Artikel beigetragen)

 
Zurück