09/2005
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Zum 100-jährigen Jubiläum des chinesischen Films

Suche nach einem eigenen Weg in chinesischen Filmen trotz westlicher Einflussnahme

Von Tang Yuankai

 
     

1934 wurde ein Film mit dem Titel Die Fee herausgebracht, der gute Filmkritiken erhielt. Dieser Film handelt von dem elenden Leben Prostituierter in der unteren Gesellschaftsschicht und von der Mutterliebe. Er wurde in den Filmkritiken als einer „von Ewigkeit“ und als „die Kulmination des chinesischen Stummfilms“ bezeichnet. Das Drehbuch wurde von Wu Yonggang geschrieben, der zugleich auch der Regisseur war. Er setzte sich das Ziel, seinen Erstlingsfilm anders als die Filme in der vorangegangenen Zeit zu einem „neuen“ Film zu machen. Er vermied absichtlich die „Tradition“ des chinesischen Films, in der ein dramatischer Effekt angestrebt wurde, schwächte absichtlich äußere Konflikte ab und legte großen Wert auf die psychische Charakterisierung von Personen. Ruan Lingyu, ein damaliger Filmstar, zeigte mit ihren nuancierten Blicken und Gesichtsausdrücken sowie ihrer feinen Körpersprache ein hohes Niveau der Darbietung in der Filmkunst. Die Bildkomsposition war auch sehr avantgardistisch. Ein typisches Beispiel ist die Aufnahme einer festen Umarmung der Heldin und eines Kindes, die unterhalb der Hüfte eines Schurken aus der Froschperspektive aufgenommen wurde. Es gelang Wu Yonggang, den deutschen Expressionismus und den französischen Avantgardismus mit typischen östlichen Motiven zu verbinden. Bahnbrechenderweise hat er angefangen, in den chinesischen Filmen eine große Menge von Groß- und Nahaufnahmen zu verwenden.

Anfang der 30er Jahre, also etwa als Die Fee zustande kam, wurde eine „Bewegung“ im chinesischen Film eingeleitet. Ihr schenken heute immer mehr Gelehrte Aufmerksamkeit, um ihren Beitrag zur Entwicklung des chinesischen Films zu ergründen. Der Mut der chinesischen Filmemacher, die Realität der Gesellschaft und der menschlichen Existenz im Auge zu behalten, und die auf Ideologie begründeten Experimente, sowie die Suche nach technischen und konzeptionellen Entwicklungsmöglichkeiten lassen einen unweigerlich an den „Neorealismus“ des italienischen Films denken, der erst zehn Jahre später entstand und die Weiterentwicklung des internationalen Filmschaffens beeinflusste. Zu Recht hat George Sadoul, eine französische Autorität auf dem Gebiet der internationalen Filmgeschichte, die Feststellung getroffen, dass der „Neorealismus“ mit den chinesischen Filmen aus den 30er Jahren begann.

 
     

„Die Bewegung der Filmkultur“ wurde als die erste groß angelegte Erneuerungs- und Entwicklungsphase bezeichnet, in der nicht nur die „traditionellen“ stofflichen Ressourcen erschlossen und weiter verwendet wurden, sondern auch fortgeschrittene Erfahrungen des ausländischen Films von der zeitgenössischen Generation der chinesischen Filmemacher studiert und übernommen wurden. Gleichzeitig übten die Filmtechniken aus Hollywood und die Montagetechnik aus der Sowjetunion besonders großen Einfluss auf sie aus.

Shen Xiling galt als ein hervorragender Vertreter seiner Generation. Ein repräsentatives Werk seiner Frühphase war 24 Stunden in Shanghai. Dieser Film handelt von einem Fall einer tödlichen Verletzung bei der Kinderarbeit. Im Film wurden die schlechten Wohn- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter beschrieben, in die Bilder von engen Wohnstuben der Arbeiter wurden Bilder von einem Käfig eingefügt, womit angedeutet wurde, dass die Arbeiter keine persönliche Freiheit hatten. Shen hat seine Erkenntnisse über Klassengegensätze und -konflikte in der gesellschaftlichen Realität durch Verwendung von Montagen zum Ausdruck gebracht. Zheng Zhengqiu bezeichnete diesen Film anerkennend als „einen heimisch produzierten Film, der ein Thema von weltweiter Tragweite behandelte.“ Nachdem der Tonfilm eingeführt worden war, versuchte Shen durch Experimente die Montagen in die Gesamtgestaltung von audiovisuellen Figuren im Tonfilm einzubauen.

 
     

1948 wurde in China ein seltener Film mit dem Titel Frühling in einer kleinen Stadt gedreht. Man kann sagen, dass in diesem Film zum ersten Mal ein vorzüglicher östlicher audiovisueller Rhythmus in einem chinesischen Film richtig zum Ausdruck kam. Wegen der gegebenen Affinität des Films zur Literatur, zur Oper und zum Theater, aber auch wegen rückständiger technischer Ausrüstung wurde von vornherein bewusst weniger Wert auf die Erzeugung eines originellen audiovisuellen Effekts im Film gelegt, es wurden aber auch nicht viele reine Experimente am Film selbst durchgeführt. Im Hinblick darauf war Frühling in einer kleinen Stadt eher „eine Überraschung“. Der Film handelt von einer verheirateten Frau, die ihrem ehemaligen Liebhaber, der auch ein guter Freund ihres Ehemannes ist, wieder begegnet, wodurch ein seelischer Konflikt ausgelöst wird. Der Film erhielt gute Kritiken, besonders geschätzt ist die Szene „Wein trinken bei der Geburtstagsfeier“; hier verschmelzen die Kameraschwenks und die statischen Aufnahmen sowie die Gemütsbewegungen der Rollen zu einer Einheit. Der Regisseur Fei Mu verwendete eine Filmsprache, die seinen zeitgenössischen chinesischen Kollegen weit voraus war. Durch diese Sprache wurde die Szene „Enthüllung der früheren Liebe“ fesselnd dargestellt. Allerdings wurde der Film erst nach der Befreiung Shanghais aufgeführt. Die Charaktereigenschaften des Films standen offensichtlich mit dem Zeitgeist der neuen Ära nicht im Einklang. Die Aussagen, die der Regisseur Fei Mu im Film zum Ausdruck kommen ließ, sind den Aussagen des deutschen Filmklassikers Ehe der Maria Braun, der erst 31 Jahre später gedreht wurde, ähnlich: Nachdem eine einfache Person einen Krieg erlebt hat, steht sie einem noch größeren Krieg in ihrer seelischen Welt gegenüber. Bedauerlich ist aber, dass Fei Mus schöpferische Filmsprache, die durch die Verwendung langer Einstellungen und origineller Perspektiven, durch Dialog und Off-Tonpassagen, die durch das freie Erzählen der Geschichte und die freie Bestimmung von Raum und Zeit sowie den rhythmischen Einsatz gekennzeichnet waren, zu Stande kam, und sein avantgardistischer Versuch in der Filmtechnik damals und auch lange Zeit danach ignoriert wurden. Erst 50 Jahre später wurde dem Film von vielen Experten ein vorderer Platz in der Reihe „Zehn klassische Filme in einem Jahrhundert des chinesischen Films“ gewährt.

Im Oktober 1949 wurde die Volksrepublik China gegründet, die mit ihrer Vitalität und ihrem revolutionären Elan auch auf der großen Leinwand dargestellt wurde. Die chinesischen Filme von damals waren durch ihren starken „Zeitgeist“ geprägt. Das Hauptthema war die „Revolution“, und „Arbeiter, Bauern und Soldaten“ spielten die Hauptrollen. Die Künstler haben eine Reihe von Filmen herausgebracht, die den „Zeitgeist“ verkörperten und „typisch chinesisch“ waren. Dennoch mangelt es vielen solchen Filmen nicht an kulturellem und künstlerischem Gehalt. Sie sind auch Filmklassiker geworden. Ein Beispiel dafür ist Kleiner Soldat Zhang Ga. Dieser Film wurde 1963 gedreht und erzählt von der Entwicklung eines lausbubenhaften jungen Mannes namens Zhang Ga zu einem kleinen Helden im Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression. Der junge Mann war frech: Als er im Ringen verloren hatte, biss er seinen Gegner. Als er von seinen kleinen Freunden lächerlich gemacht worden war, verstopfte er die Kamine ihrer Häuser. Dennoch hat er sich zum tapferen Soldaten entwickelt. Wenn man sich den Film heute ansieht, wirkt er „neu“, denn die Handlung ist interessanter als der amerikanische Film Home Alone, darüber hinaus lässt sich in der Verwendung langer Einstellungen zugunsten des Erzählens auch ein ästhetischer Versuch erkennen.

Nach Ende der Kulturrevolution (1966–1976) bildete die neue Generation eine lebhafte und schöpferische Komponente der geöffneten chinesischen Gesellschaft.

„Unsere Lehrer sind dafür, dass wir sie stürzen.“ Mit diesem Satz fasste Chen Kaige die große Hoffnung, die die ältere Generation der Filmkünstler auf die neue Generation setzte, zusammen. Sein Vater Chen Huai’ai war einer der beiden Regisseure des Films Kleiner Soldat Zhang Ga. (Der andere war Cui Wei, ebenfalls ein großer Meister.)

 
     

1984 brachte Cheng Kaige als Regisseur im Alter von 32 Jahren seinen Erstlingsfilm Gelbe Erde heraus. Der Film ist „rebellisch“, übte aber großen Einfluss auf den chinesischen Film aus. Mit Dialogen wird sparsam umgegangen. Gerade darin liegt aber der einzigartige Sprachstil des Films. Wenn die Zuschauer mehr als eine Stunde lang das Schweigen, das wie die gelbe Erde schwer und langsam wirkt, erdulden können, werden sie bestimmt durch die späteren Szenen, in denen zahlreiche junge Männer energisch die Trommeln schlagen und schreien, erschüttert. Das Trommeln bildet seither ein Zeichen in der Bildsprache des chinesischen Volkes und wurde auch bei der Eröffnungszeremonie der Asiatischen Spiele 1990 in Beijing und vielen anderen „sehr typischen chinesischen“ Darbietungen verwendet.

Gelbe Erde war ein Meisterwerk der zwei Spitzenfilmemacher Chinas, nämlich Chen Kaige und Zhan Yimou (als Kameramann). Danach haben die beiden und auch ihre Studienkollegen eine Zeit lang die ästhetische Suche der „fünften Generation“ nach dem „Wahren, Neuen, Tiefen und der Veränderung“ fortgesetzt.

Im Handumdrehen hat sich die „fünfte Generation“ vom rebellischen Kind zum reifen Mann entwickelt. Die Angehörigen dieser Generation haben inzwischen große Auszeichnungen wie die Goldene Palme, den Goldenen Löwen und den Goldenen Bären von den großen internationalen Filmfestivals nach Hause gebracht und sind heute noch aktiv in der Filmproduktion. Manche von ihnen haben in der Marktwirtschaft ihre frühere Kritik an der Kasseneinnahme als „Gift“ über Bord geworfen und sind selbst zu „Goldgruben“ geworden. Manche neue Werke von ihnen rufen Bedenken hervor. Man fragt sich, wie hoch der Preis für eine „neue künstlerische Welle“ sein soll und durch welche Art von Filmproduktion wirklich neue Filme herausgebracht werden können.

Die nicht nach strengen Kriterien benannte „sechste Generation“ bezieht sich auf die jüngeren Studienkollegen von Chen Kaige. Eine Zeit lang mussten sie notgedrungen jenseits des staatlichen Filmsystems arbeiten. Man hörte oft von „Untergrundfilmen“, konnte diese aber nur sehr schwer sehen. Diese Arbeitsweise war aber nicht ihre eigene Wahl. Mit der Einführung einer offenen Filmpolitik finden manche von ihnen wie Wang Xiaoshuai und Jia Zhangke weitgehende Anerkennung. Ihre neuen Filme wurden nicht mehr „heimlich“, sondern von staatlichen Behörden zu den Filmfestivals wie zum internationalen Filmfestival in Cannes eingereicht.

 
     

In ihren Werken versuchen die Autoren der sechsten Generation, ihre Stoffe und Figuren unmittelbar in ihrer Nähe, also aus ihrem eigenen Lebensumfeld zu gewinnen, damit eine wahre Darstellung der Gesellschaft und von ihnen „selbst“ erzielt wird. Jia Zhangke verwendet lange Einstellungen und fixe Bildeinstellungen und minimiert dadurch effektiv die Manipulation und Beeinflussung der Schauspieler und deren Umgebung durch den Regisseur. Andere Regisseure wie Wang Xiaoshuai warfen von Anfang an die Tradition über Bord, in dem sie die Erzählstruktur brachen, die Kontinuität der Handlung zerschnitten und sogar Toneffekte und Bilder zerstückelten. In den traditionellen chinesischen Filmen dient die Gestaltung von Bildern oft zum Ausdruck noch größerer „Bedeutung“, aber in den Filmen von neuen Regisseuren sind die Bilder auf der Leinwand nur visuelle Werke. Die Bilder, die die Zuschauer sehen, stehen für sich selbst. Manche Regisseure drehen Filme ohne Drehbuch. Der Aufbau des ganzen Films beruht auf dem Bildschnitt, was endlich dazu führen könnte, dass sich der chinesische Film möglicherweise von der Kategorie „Literatur“ loslöst.

 
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