09/2005
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Zum 100-jährigen Jubiläum des chinesischen Films

Erstmalige Verfilmung einer chinesischen Geschichte

Von Tang Yuankai

 
     

Vor genau 100 Jahren wurde der erste chinesische Film aus der Taufe gehoben, er trug den Namen Eroberung des Berges Jun.

Der Film wurde geplant und gedreht unter der Regie von Ren Qingtai, dem Geschäftsführer des Fotoateliers Fengtai in Beijing. Der Mann hatte sich zuvor auf eigene Kosten in Japan fortbilden lassen und gehörte nun zur aufgeschlossenen „Neuen Schule“. Er ließ ein Kaufhaus zum ersten Kino in Beijing umbauen. Obwohl das Geschäft einigermaßen gut ging, empfingen die chinesischen Zuschauer jedoch die ausländischen kurzen Filme, die sie bis dahin bereits seit zehn Jahren kannten und die inhaltlich von „einheimischen Ereignissen, Sitten und Gebräuchen weit entfernt“ waren, nicht mehr als Neuheiten. Dies regte Herrn Ren an, selbst Filme zu drehen und er richtete sein Augenmerk auf die damals populärste Kunstart – die Peking-Oper. Er lud Tan Xinpei, den beliebtesten Schauspieler der Peking-Oper von damals, – heute würde man ihn „Topstar“ nennen – dazu ein, als Hauptdarsteller aufzutreten.

Dieser Film enthielt nur einige Ausschnitte des gleichnamigen Peking-Opernstücks und spielte beachtliche Gewinne ein. Damit begann die Geschichte des chinesischen Films. Dieser unterschied sich inhaltlich von vornherein von dem von Louis Lumière und seinem Bruder gedrehten Film Feierabend in der Fabrik Lumier, der nur Szenen aus dem Alltagsleben wiedergab – Louis Lumière und sein Bruder galten als Schöpfer des ersten Films. Der chinesische Film ist seit seinen Anfängen durch seine Verbindung mit populären und künstlerischen Gattungen des chinesischen Volkes gekennzeichnet, so dass der Importartikel Film ein einheimisches Gepräge bekam.

Allerdings waren viele chinesische Filme in jeder Hinsicht immer noch Nachahmungen westlicher Stummfilme. In jener Zeit gab es Filme, in denen ein Schauspieler Charles Chaplin nachahmt, besipielsweise wie Chaplin einem Auto hinterherrennt und mit dem Fuß auf das Hinterteil einer Person tritt, Geschirr zertrümmert und sich selbst blamiert. Das zeigt, dass der chinesische Film mit seiner bis dahin 10-jährigen Erfahrung noch immer keinen eigenen Weg gefunden hat.

 
     

Die Filmemacher in China waren mit einem Problem konfrontiert, nämlich wie dem Geschmack der chinesischen Zuschauer besser entsprochen werden konnte. 1923 haben Zheng Zhengqiu und Zhang Shichuan das Drehbuch Ein Waisenkind rettet seinen Großvater geschrieben und auch dabei Regie geführt. Dieser Film stellt einen Meilenstein in der Frühphase der Entwicklung des chinesischen Films dar. Zahlreiche Zuschauer strömten ins Kino und sahen sich unter Tränen den Film an. Der Film handelt von der liebevollen Verbundenheit von Familienangehörigen und ihrer schmerzlichen Trennung. Das Thema ist, auch aus heutiger Sicht, sehr typisch „chinesisch“. Es lässt sich feststellen, dass mit diesem Film eine besondere Tradition des chinesischen Films begründet wurde, nämlich dass großer Wert auf die gesellschaftlich erzieherische Funktion der Filme gelegt wird. Mit Hilfe von Stoff und Motiv der traditionellen Opernstücke wurden spannende Handlungen und die Dramatik zur Anschauung gebracht. Dabei bildete die Familie den Mittelpunkt, ethische Konflikte und Widersprüche trugen sich in der Familie zu, dadurch wurde die Realität widergespiegelt und das Publikum zur Vernunft ermahnt. Dies entspricht der langen chinesischen Tradition und insbesondere der überlieferten kulturellen Maxime: „Die Literatur soll das Dao, also den rechten Weg von Ethik und Politik, darlegen und ihm dienen.“

Bis zur Gründung der VR China schufen die Rekordkasseneinnahmen dreier chinesischer Filme eine Legende, das sind Schicksal der Zwillingsschwestern, Lied der Fischer und Der Fluss des Frühlings strömt ostwärts;, der Regisseur der letzten zwei Filme war Cai Chusheng.

 
     

„Es ist selten, dass der Mensch das 80. Lebensjahr erreicht, es ist aber einmalig, dass ein Film 80 Tage ununterbrochen aufgeführt wurde.“ Damit wurde die Begeisterung über den Film Der Fluss des Frühlings strömt ostwärts beschrieben. Cai Chusheng ist einer der Vertreter der „zweiten Generation“ des chinesischen Films. Sein Erfolg ist darauf zurückzuführen, dass er im Vergleich zu den zeitgenössischen Filmemachern der gesellschaftlichen Realität mehr Aufmerksamkeit schenkte und die grundlegende traditionelle Wertschätzung von Chinesen besang. Im Vordergrund handelt der Film zwar von einem undankbaren Mann, der nach seiner Karriere seine Ehefrau, die zusammen mit ihm in der Armut gelitten hatte, im Stich lässt, also von einer für die chinesischen Zuschauer vertrauten und bei ihnen beliebten Thematik, aber der Handlungskomplex des Films ist im 8-jährigen (1937–1945) Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression eingebettet. Der Regisseur Cai ließ die tragische Geschichte einer Familie im großen sozialen Kontext erzählen, damit wurde dargestellt, wie die Veränderung von Staat und Gesellschaft einzelne Familien und Personen beeinflusste, und der Leitgedanke des von alters überlieferten Sinnspruchs über „Jedermanns Verantwortung für das Schicksal seines Landes“ zum Ausdruck gebracht. Im Film sind das nationale Bewusstsein, das historische Bewusstsein des Landes und die dramaturgische Wirkungskraft miteinander verschmolzen, so dass ein Film über Familienethik zu einem eposartigen Filmklassiker gesteigert wurde.

In den vergangenen 100 Jahren verfolgten die meisten chinesischen Filme das Ziel der „erzählerischen Spannung“, der „lebhaften, gewundenen Handlung“ und der „in dramatischem Konflikt gestalteten Figuren“. Diese Zielsetzung war seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts besonders deutlich erkennbar. In den Filmen wurden die gediegene chinesische literarische Tradition und der Einfluss ausgereifter Theater- und Opernstücke widergespiegelt. Die einzigartige erzählerische Tradition formte Geschmack und Rezeptionsgewohnheit der chinesischen Zuschauer. Heute haben sie immer noch starkes Interesse an spannenden Geschichten. Vor dem Hintergrund dieser Tradition hat seit langem das Erzählen einer Geschichte Vorrang vor der Gestaltung der Figuren und die Erzählung bildet das erstrangige Element in der chinesischen Filmschöpfung.

 
   

Nach Cai Chusheng führte Xie Jin als Vertreter der „dritten Generation“ die ethische Geisteshaltung des chinesischen Films weiter. Nach der Beendigung der Kulturrevolution (1966–1976) veranlasste Xie Jin mit seinen durch die Familien- und politische Ethik geprägten Filmhandlungen die Zuschauer zur Reflexion über die Kulturrevolution und über die Leiden, die auch die politischen Kampagnen zuvor den Menschen zugefügt hatten, und brachte ihnen zugleich aber auch inneren Trost. Die „traditionellen“ Zuschauer sahen sich mit ihrer Rezeptionsgewohnheit sehr gern Xie Jins Filme an und waren durch sie bewegt. Darin ist seine große Beliebtheit begründet, die bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts fortdauerte. Nach einer Umfrage, die von namhaften Datenerhebungsfirmen wie Horizon Group unter den chinesischen Filmzuschauern in Beijing und Shanghai durchgeführt wurde, nannten immerhin 25% der Befragten Xie Jin ihren „beliebtesten Regisseur im Inland“. Er bekam mehr Stimmen als die Nr. 2 Zhang Yimou, der damals gerade am Höhepunkt seiner Regisseurkarriere stand.

 
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