Mai 2005
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Essen Chinesen überhaupt noch zu Hause?

– Der Restaurantboom spricht dagegen

 

Von Zhou Jian

Restaurants haben in China eine lange bzw. längere Geschichte. Aus politischen Gründen waren sie aber in einer nicht allzu kurzen Zeitspanne nach der Gründung der Volksrepublik China 1949 kaum vorzufinden. Diese Situation änderte sich 1978 mit der Einführung der Öffnungs- und Reformpolitik in China. Heute dürften Restaurants den größten Anteil an öffentlichen Stätten Chinas ausmachen. Insbesondere in Großstädten wie Beijing und Shanghai stehen Restaurants verschiedener Art und Größe in einer übertriebenen Anzahl zur Verfügung. Nach einer jüngsten Statistik in Beijing gibt es 28 754 Restaurants, die insgesamt 192 694 Menschen beschäftigen. Zwar sind chinesische Großstädte sehr dicht bevölkert, ihre Einwohner sind aber bei weitem nicht durchgehend als reich zu bezeichnen, was man am verfügbaren Pro-Kopf-Durchschnittsjahreseinkommen 2004 in Beijing, das ca. 15 000 Yuan (das entspricht ungefähr 1500 Euro) ausmachte, leicht erkennen kann. Auch wenn die niedrigen Preise berücksichtigt werden, kann man nicht sagen, dass diese Summe zufriedenstellend ist. Die Frage drängt sich auf: Machen die Restaurants zum Großteil gute Geschäfte? Antwort: Ja, sie machen zu einem großen Teil sogar sehr gute Geschäfte, und noch dazu sind die Kunden meist Einheimische.

Die Restaurants in Beijing kann man in folgende fünf Arten unterteilen: traditionsreiche Restaurants, Restaurants für frische Meeresprodukte, Restaurants für Küchen aus den Provinzen, Restaurants für Alltagsspeisen und Restaurants für ausländische Küchen. Zu den traditionsreichen Restaurants zählen z. B. das Pekingente-Restaurant Quanjude, das Restaurant für Feuertopf Donglaishun und das Restaurant für islamische Gerichte Hongbinlou. Sie sind nicht nur bei den Einheimischen beliebt, sondern auch bei den in- und ausländischen Touristen. Ihre Spezialitäten haben eine lange Geschichte und sind entsprechend teuer. Aber die teuersten Restaurants sind die für frische Meeresprodukte, darunter sind Shunfeng, Lichang und Jinyue am bekanntesten. Sie sind sehr luxuriös eingerichtet und werden meist von Reichen oder denjenigen besucht, die sich ihre Ausgaben für das Essen anhand von Quittungen von ihren Arbeitseinheiten zurückerstatten lassen können.

In China ist es für eine Familie ein Brauch von alters her, am Silvesterabend nach dem traditionellen chinesischen Kalender, nämlich am Vorabend des Frühlingsfestes, zusammen zu essen. Früher pflegten die Eltern das Familienbankett mit großer Mühe zu Hause vorzubereiten. In den letzten Jahren ist es in den Städten mehr und mehr zur Sitte geworden, am Silvesterabend ein Restaurant zu besuchen. Die erste Wahl fällt z. B. in Beijing auf die traditionsreichen Restaurants. Für den Silvesterabend des letzten Jahres wurden alle Plätze der traditionsreichen Restaurants in Beijing schon einen Monat im Voraus bestellt. Selbstverständlich können andere Restaurants auch Gewinne von diesem Trend erzielen. Außerdem besucht man nicht nur am Silvesterabend, sondern auch aus vielen anderen Anlässen ein Restaurant, wie zum Geburtstag, zum Hochzeitstag, um Freunde zu treffen, wegen des Wochenendes oder ganz einfach, weil man nicht selbst kochen möchte. Es ist in den Großstädten Chinas sehr selten geworden, Freunde zum Essen nach Hause einzuladen. Übrigens scheint es eine Tendenz in Beijing zu sein, immer größere Restaurants aufzumachen. Restaurants als eigenständige, mehrstöckige Gebäude sind leicht zu finden.

In China essen Berufstätige in den Großstädten nicht dreimal am Tag zu Hause. Wegen der Entfernung zwischen Zuhause und Arbeitseinheit schafft man es normalerweise in der Mittagspause nicht, nach Hause zu gehen. Nehmen wir eine dreiköpfige Familie (Vater: Wang, Mutter: Luo und der 10-jährige Sohn) in Beijing als Beispiel. Morgens müssen sie alle nach einem einfachen Frühstück zu Hause ganz früh losfahren, weil die Verkehrslage in der Spitzenzeit sehr kritisch ist. Wang arbeitet in einer Behörde der Stadtregierung. Zu Mittag isst er in der Mensa. Luo ist Abteilungschefin einer Werbefirma. Die Firma hat das Mittagessen für ihre Angestellten bei einem Fast-Food-Betrieb bestellt, der jeden Arbeitstag das Mittagessen ins Büro liefert. Natürlich können die Angestellten auch auf eigene Kosten in ein Restaurant gehen, wenn sie die bestellten Speisen nicht mögen. Das Kind von Wang und Luo geht zur Grundschule und hat zu Mittag einen „kleinen Tisch“, eine übliche Form, in der Grund- und Mittelschulen ein vertrauenswürdiges gastronomisches Unternehmen beauftragen, Schülern Mittagessen anzubieten. Dafür haben die Schüler einmal im Monat zu zahlen. Die Regierung legt besonderen Wert auf die Qualität und die Hygiene des „kleinen Tischs“ und hat eine Reihe von Maßnahmen getroffen, um sie zu garantieren. Nach Feierabend um 17.00 fährt Wang mit dem Rad zur Grundschule, um seinen Sohn abzuholen, und bereitet das Abendessen zu. Seine Frau Luo ist immer sehr beschäftigt und muss häufig mit Kunden zu Abend essen.
Der Begriff Supermarkt ist Chinesen erst seit der Einführung der Öffnungs- und Reformpolitik bekannt. Heute ist er ein wichtiger Bestandteil des Alltagslebens der Chinesen. Chinesen legen großen Wert auf das Essen und sind auch gut darin. Hat man Zeit, kocht man zu Hause, insbesondere ältere Leute. Größere und kleinere Supermärkte können hohe Kundenzahlen aufweisen. Die Top-Supermärkte wie Sam’s Club (Wal-mart) und Carrefour sind in China sehr erfolgreich. Der Sam’s Club in Beijing stellt 1000 Parkplätze für seine Kunden zur Verfügung. Gemüsemärkte im Freien existieren heute fast nur als Morgenmärkte täglich bis 9 Uhr. Dort werden auch billige Alltagsartikel wie Schuhe, Kleider, Stoffe und Plastikprodukte angeboten. Die Kunden sind vor allem alte Leute, Arbeitslose oder Wanderarbeiter. In den alten Stadtteilen Beijings wie Dongcheng und Chongwen gibt es noch ein paar große überdachte Gemüsemärkte, die von der Regierung im Zuge der Stadtplanung gebaut wurden.

Vor einigen Jahren kam die Meinung auf, dass die chinesische Küche zwar gut schmeckt und schön aussieht, aber nicht nahrhaft genug ist, weil die Speisen zu viel Öl und Salz enthalten und zu lange gekocht werden. Dieser Meinung schließen sich viele an. Vor kurzem haben einige bekannte chinesische Ernährungswissenschaftler in Beijing ein Buch mit Ernährungsratschlägen für gesünderes Essen veröffentlicht. Einflussreiche Zeitungen wie Beijing Wanbao (Beijinger Abendzeitung) haben Artikel aus diesem Buch nachgedruckt. Es ist allerdings unmöglich, dass Chinesen über Nacht ihre Essgewohnheiten ändern. Vielleicht ist es auch nicht allzu notwendig. Man sollte einfach die Spreu vom Weizen trennen.

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