Mai 2005
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Auf Druck hin werden chinesische Beamte lockerer

 

Von Mitarbeiterin Zhang Xueying

Chinesische Beamte tragen dieser Tage eine viel menschlichere öffentliche Rolle zur Schau als ihre traditionell ernste Haltung, eine Veränderung, die von den Menschen willkommen geheißen wird. Früher streng und steif, sind sie nun lebhaft und haben keine Angst, in der Öffentlichkeit Enthusiasmus zu zeigen. Die chinesischen Staatsbediensteten fügen sich nicht mehr in die starre graue Masse des Beamtentums ein, in der der eine vom anderen nicht zu unterscheiden ist wegen ihrer staubtrockenen Beamtensprache. Um ihre Arbeit und ihre Leistungen zu fördern, stechen sie nun gerne als Individuen hervor.

Politische Stars

Handelsminister Bo Xilai ist eine nationale Berühmtheit. Als er Bürgermeister von Dalian war, erschienen die Errungenschaften dieses großen, weltgewandten Staatsmannes mit seiner polierten Schlagfertigkeit und seinem geradlinigen Arbeitsstil oft in den Medien und machten ihn zum politischen „Star“. Seine Anstrengungen führten dazu, dass Dalian Mitte bis Ende der 90er Jahre eine chinesische Modellstadt und Bo Xilai ein allgemein bekannter Name wurde. Seine Geschicklichkeit in der Verwaltung und sein Image in der Öffentlichkeit sind so eng miteinander verbunden, dass, wie ein Forscher, der sich lange Jahre mit dem chinesischen politischen System beschäftigt hat, bemerkt: „Bo Xilais Geschick, mit den öffentlichen Medien zu kommunizieren, hat ihn zu einer Symbolfigur gemacht.“

Wang Qishan wird als einer der Staatsmänner der neuen Generation beschrieben, die die größte Aufmerksamkeit in China auf sich ziehen. Seine Aussage „Beamten sollte es erlaubt sein, unpassende Bemerkungen zu machen“ ist wohl jeher die am meisten zitierte. Im Mai 2003 während des Ausbruchs von SARS in Beijing wurde Wang Qishan in die Hauptstadt versetzt, um als Vizebürgermeister zu fungieren. Über die öffentlichen Medien bat er die Einwohner der Hauptstadt „Sagt uns bitte alles, woran wir eurer Meinung nach erinnert werden müssen.“ Laut einer Meinungsumfrage trösteten Wang Qishans Mut und Entschlossenheit die Beijinger Einwohner, die zu jener Zeit in Panik waren. Nach SARS wurde Wang Qishan Bürgermeister der Beijinger Stadtregierung.

Chengdu, die Hauptstadt der Provinz Sichuan, hob sich vor kurzem wegen mutiger Maßnahmen von Li Chuncheng, dem Sekretär des Parteikomitees der Stadt Chengdu, von den anderen chinesischen Städten ab. Er setzte sich für den Gebrauch von Putonghua (Mandarin) in allen öffentlichen Angelegenheiten und für die Einstellung der Angewohnheit der führenden Kader, einander mit ihrem Titel und nicht mit ihrem Namen anzusprechen, ein. Er trieb auch die Renovierung der alten Stadtbezirke Chengdus voran und überzeugte Intel erfolgreich, in der Stadt zu investieren. Diese Maßnahmen wurden von den Medien „Chengdus neuer Traum“ genannt. Li lud während seiner Amtszeit Zhang Yimou ein, einen PR-Film über Chengdu zu drehen, an dessen Ende der angesehene Regisseur sagt: „Chengdu, eine Stadt, die man nicht mehr verlassen will.“

In den ersten neun Monaten des Jahres 2004 gelang es dem Gouverneur von Henan, Li Keqiang, das Pro-Kopf-Einkommen der Bauern um 19,5 Prozent anzuheben. Das war das erste Mal in der Geschichte Henans, dass das Wachstum der Einkommen der Landbewohner das der Stadtbewohner überflügelte. Li wurde mit 43 Jahren ernannt und war damit der jüngste Provinzgouverneur Chinas und der erste mit einem Doktortitel. Er ist jetzt Parteisekretär der Provinz Liaoning. Während seiner Amtszeit in Henan (1998–2004) wohnte er mit seinem Sekretär und seinem Leibwächter in der Provinzherberge. Er besuchte persönlich drei mit HIV/AIDS infizierte Dörfer und unterstützte eine Untersuchung über AIDS in der ganzen Provinz. Li Keqiang ernannte zehn Wissenschaftler mit Doktortitel zu Regierungsbeamten in Henan, was als Maßnahme zur Durchführung seiner Strategie des „Aufstiegs der Zentralebene“ diente. Als er an der Peking-Universität mit der Dissertation Über die Dreifachstruktur der Chinesischen Wirtschaft mit einem Doktor für Wirtschaft promovierte, gewann er den Sun Yefang-Preis für Wirtschaftswissenschaften, außerdem wurde sein Buch Strategische Wahl für die Prosperität publiziert.

Fortschrittliche Reformen

„Regierungsbeamte sind nicht mehr abgeneigt, ihre Talente zur Schau zu stellen. Das ist das Ergebnis einer nachsichtigeren Arbeitsumgebung, die ihnen erlaubt, ihren individuellen Charaktereigenschaften freien Lauf zu lassen“, sagt Mao Shoulong, Professor der Renmin-Universität Chinas, und fügt hinzu, „Verwaltungsbeamte wechseln vom passiven zum proaktiven Modus.“

Letzten November gaben vierzehn Provinz- und Ministerialbeamte aus Liaoning, Chongqing, Shanghai, Beijing und Shaanxi CCTV-Berichterstattern Interviews und sprachen darin über Gewinne und Verluste der Wirtschaftsentwicklung. „Wir hätten nie erwartet, dass so eine große Anzahl von Führungskräften auf Provinzebene vor der Kamera so freiheraus über Schwierigkeiten in der Verwaltung, und wie sie damit umgegangen sind, sprechen würden“, sagt der Produzent. Beobachter interpretierten die Sendung als passenden Kanal, um Gewinne und Verluste in der Verwaltungsarbeit zu veröffentlichen. Es war auch eine direkte Gelegenheit für die breite Öffentlichkeit, mit den Folgen von Politik und mit dem politischen Prozess vertraut zu werden, Informationen, die normalerweise nur durch Arbeitsberichte der Regierung, die auf den Volkskongressen auf den diversen Ebenen vorgetragen werden, zu bekommen sind.

Shang Dewen, Professor für Wirtschaft an der Peking-Universität, meint, dass diese Sendung eine neue politische Atmosphäre anzeigt. Nach den Entwicklungen der politischen Reform der letzten Jahre haben Beamte eine bessere Vorstellung davon, wie sie mit der Öffentlichkeit umgehen sollen. Sie sind sich bewusst, dass ihre Autorität auf die Unterstützung der Volksmassen angewiesen ist und deshalb ihre Arbeit für eine öffentliche Überprüfung offen sein muss.

Seit 1978 hat die Kommunistische Partei Chinas gleichzeitig politische und wirtschaftliche Reformen durchgeführt. Yang Guang, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, bemerkt: „Schon in alten Zeiten begannen Chinas politische Reformen mit Änderungen im Beamtentum.“ In den späten 80er Jahren schlug Deng Xiaoping „Reformen des Führungssystems des Staates und der Partei“ vor, die hauptsächlich die Überwindung der Bürokratie, den Kampf gegen das Patriarchat, die Dezentralisierung der Macht, die Abschaffung von Amtszeit auf Lebenszeit für Führer und die Förderung von kollektiver Führung und Demokratie innerhalb der Partei beinhalteten. Mitte der 80er Jahre hatte sich diese Reform zur „Reform des politischen Systems“ weiterentwickelt und Begriffe wie „Dialog“, „Transparenz“ und „Offenheit“ begannen oft in den Medien aufzutauchen.

In den letzten 20 Jahren schafften Befürworter politischer Reformen einen Durchbruch, besonders in den Bereichen der Dorfkomitee- und Einwohnerkomiteewahlen. Das Offenlegen der Regierungsarbeit und die Zunahme der Transparenz der Regierungsorgane werden gemeinsam mit der Änderung der Verfassung und der Reform im Volkskongress ebenfalls als Durchbruch angesehen.

„Chinas politische Reform ist eigentlich eine Kraftprobe zwischen Macht und Recht“, sagt Yang Guang. In seinen Augen kann nur eine wirkliche politische Reform eintreten, wenn das chinesische Volk die Macht hat, ihre Führung zu wählen und zu kontrollieren. Das ist für ihn der ultimative Beweis für Chinas politische Reform.

Der sozio-ökonomische Wandel wird in China stark vom politischen System behindert. Die chinesische Führung mit Hu Jintao an der Spitze hat ihre Entschlossenheit zur Durchführung von Reformen gezeigt. Die Kommunistische Partei Chinas gab 2004 sechs Dokumente heraus, die die offene Auswahl der führenden Partei- und Regierungskader betrifft. Sie setzen klar fest, dass Partei- und Regierungsführer auf Bezirks- und Kreisebene durch Wahl und nicht durch Ernennung bestimmt werden sollen. Auf der vierten Plenartagung des 16. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas im September 2004 wiederholte Hu Jintao sein Prinzip „Die Macht für das Volk verwenden, sich um das Volk kümmern und Vorteile für das Volk erzielen“ und erinnerte daran, die Fähigkeit zum Regieren der Regierungspartei zu stärken. Das führte zu der strengsten jährlichen Rechnungsprüfung der Regierung in der jüngeren Geschichte. Sie brachte einige Fälle von Korruption ans Tageslicht, dabei handelte es sich u. a. um die Veruntreuung von hunderten Millionen Yuan aus öffentlichen Fonds, den Verlust von staatlichem Anlagevermögen und finanziellen Verfehlungen auf Seiten des Staatlichen Amts für Forstwirtschaft und des Staatlichen Generalamts für Sport. Im Januar 2005 startete die Kommunistische Partei Chinas die größte Erziehungstätigkeit seit den 80er Jahren, die auf die Erhöhung der Wachsamkeit abzielt und schwerere Strafen für Verwaltungsvergehen zur Anwendung bringt.

Es wird schwieriger, Beamter zu sein

Ende 2002 wurde Jiang Chenggu, Vizekreisvorsteher des Kreises Pengshui unter der Gerichtsbarkeit der Stadt Chongqing, unfreiwillig der erste Mann des politischen Phänomens von „die Schuld auf sich nehmen und vom Amt zurücktreten“ und beendete so seine fünfzehnjährige Karriere als Regierungsbeamter.

Sein Rücktritt wurde von zwei Verkehrsunfällen hervorgerufen. Der erste passierte am 3. Juli 2002, als ein Bus einen Felshang hinunterfiel – angeblich wegen technischer Fehler – und 12 Leben forderte. Der zweite passierte am 20. August des gleichen Jahres und forderte 26 Leben. Es sickerte durch, dass der Unfall wegen der Blindheit des Fahrers auf dem linken Auge hervorgerufen wurde, was bei seiner jährlichen Gesundenuntersuchung nicht entdeckt wurde.

Das Dokument Die Regelung der Durchführung von Rücktritten von führenden Kadern der Partei und der Regierung der Stadt Chongqing enthält Bestimmungen für Kader, deren Vernachlässigung ihrer Pflichten zu Unfällen mit tödlichem Ausgang geführt haben und denen deshalb der Rücktritt nahegelegt werden sollte. Dieses Dokument ist das erste „die Schuld auf sich nehmen und vom Amt zurücktreten“-Dokument, das jemals in China herausgegeben wurde.

Seit dem Fall Jiang Chenggu ist der Beamtendienst ein Beruf mit hohem Druck geworden. Laut Statistiken, die von einem Vizekreisvorsteher der Provinz Sichuan zitiert wurden, umfassen die Regelwerke auf den verschiedenen Ebenen mehr als 180 Bestimmungen, die sich auf das Verhalten von Beamten beziehen. Verstöße dagegen führen entweder zu Disziplinarmaßnahmen oder zur Entlassung vom Amt. Für Produktionssicherheit und Straßentransport verantwortliche Beamte stehen unter dem höchsten Druck.

Der Druck ist nur noch stärker, wenn man die breite Medienberichterstattung in China bedenkt. Alle Fälle von „die Schuld auf sich nehmen und vom Amt zurücktreten“ sind das Resultat schwerer Unfälle mit tödlichem Ausgang. Die öffentliche Meinung hat das Schicksal von Regierungsbeamten gewissermaßen bestimmt. Bis September 2004 wurden Ermittlungen über die Verantwortung von mindestens 5000 Beamten auf verschiedenen Ebenen aufgezeichnet. Dieses neue politische Phänomen in Chinas Beamtentum fordert das Konzept der „in Frieden gelassenen Beamtenschaft“ heraus. Es übt Druck auf die 40 Millionen Beamten auf Chinas Festland aus und macht damit den Beruf des Regierungsbeamten zu einem mit hohem Druck. Viele Beamte bestätigen: „Es ist dieser Tage schwieriger, als Beamter zu dienen, weil auf der Vierten Plenartagung des 16. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas die Stärkung der Fähigkeit zum Regieren betont wurde.“

Es wurde berichtet, dass das Prinzip „die Schuld auf sich nehmen und vom Amt zurücktreten“ in das Gesetz über öffentliche Bedienstete aufgenommen werden soll. Die Personalreform als Schlüsselpunkt für die Reform des politischen Systems wird das dynamischste Kettenglied sein. Seit der Vierten Plenartagung des 16. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas wird es immer bedeutender, nach Recht und Gesetz Personalmanagements durchzuführen. Es wird erwartet, dass ein wissenschaftlicheres und effizienteres System auf der Grundlage der Bewertung und der Auswahl von Beamten eingerichtet wird.

Professor Song Shimin von der Staatlichen Verwaltungsakademie kritisiert das offizielle „Rangsystem“, das für die Amtseinsetzung verwendet wird. Er weist darauf hin, dass das System, das in der Qin- und Han-Dynastie (221 v. Chr–220 n. Chr.) eingeführt wurde, auf Status, Identität und Gehalt basiere. Es erfordere keine relevanten Qualifikationen für die Amtseinsetzung und habe keine Vorschriften für die Verwaltung nach der Kategorie von Beamten. Experten wie Professor Song befürworten das eher leistungsorientierte System der öffentlichen Verwaltung, das im Westen seit dem 19. Jh. verwendet wird.

Seit der Vierten Plenartagung des 16. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas haben die Regierungen auf verschiedenen Ebenen eine demokratischere Art und Weise der Auswahl von Beamten gesucht. Die Provinz Sichuan fordert eine Meinungsumfrage in der Bevölkerung über alle Beamten, bevor diese für Schlüsselpositionen eingesetzt werden können. In den Provinzen Shandong und Fujian werden Mitglieder der Parteiführung der Bezirke innerhalb der Partei direkt gewählt – ein Schritt, der weitgehend als Signal für eine größere innerparteiliche Demokratie interpretiert wird. In der Stadt Xiangfan, Provinz Hubei, wurden alle vierzehn Mitglieder der neuen Partei- und Regierungsführung auf der Grundlage von öffentlichen Empfehlungen gewählt.

Letzten Dezember begann die Provinz Jiangsu ihre erste Bewertung von 10 000 Personen, wobei die Arbeit von 82 Partei- und Regierungsorganen auf Provinzebene bewertet wurde. An dieser Bewertung nahmen Volkskongressvertreter, Mitglieder der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes auf verschiedenen Ebenen, Regierungsbeamte, Stadt- und Einwohnerkomitees und Vertreter von Stadtbewohnern und Bauern teil. Die Leiter von Einheiten, deren Leistungen Mängel aufwiesen, wurden gemaßregelt und es wurde ihnen befohlen, sich innerhalb einer festgelegten Zeit zu bessern, währenddessen wurden sie auch regelmäßig kontrolliert. Die Leiter von Einheiten, deren Arbeit dauernd unter dem Standard war, wurden bestraft. Eine experimentelle Bewertung der Leistung von Regierungsabteilungen, die sich auf Verwaltungskosten und Effizienz der Verwaltung bezog, wurde zur gleichen Zeit im Bezirk Xuhui in Shanghai durchgeführt.

Wu Jiang, Experte für Verwaltungssysteme, findet, dass Chinas Bewertung von Kadern in eine pluralistischere Richtung geht. Er führt in Zusammenarbeit mit der Europäischen Union eine Studie zu Bewertungsmethoden von Regierungsbeamten durch. Das Projekt begann 2003, und an bestimmten Orten wurden Experimente durchgeführt. Wu zählt die Faktoren auf, die die Erstellung eines wissenschaftlichen Indexsystems so schwierig und langsam machen, wie sofortige gegenüber langfristigen Interessen, Fairness gegenüber Effizienz und BIP gegenüber der ökologischen Umwelt. Bei der Bewertung eines leitenden Kaders sind Leistungen bezüglich verschiedener Zielsetzungen zu berücksichtigen und das basiert auf der Absicherung der grundlegenden Interessen des Volkes.

Reformen des chinesischen Beamtentums werden durch komplizierte Widersprüche, die sich aus alten Gewohnheiten ergeben, die Tausende von Jahren zurückgehen, weiters durch strukturelle Hindernisse und die Qualität des Personals behindert. Wie in den ausländischen Medien berichtet wurde, wird das eine langwierige Reform. Wenn dem auch so ist, substantiell, wenn auch vorsichtig, haben die Forschungen und Untersuchungen bereits begonnen.

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