Mai 2005
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Die Schattenspielkunst

Von Liu Jilin

Als Kind war ich schon vom Schattenspiel fasziniert. Mit 20 Jahren lernte ich einen bekannten Schattenspielkünstler kennen, der mir die Aufführungstechnik, Bühnenausstattung und –musik beigebracht hat. Nun habe ich mich dem Beijinger Schattenspielensemble angeschlossen.

Das alte China war ein Agrarland. Die Bauern schufteten das ganze Jahr auf ihrem Ackerboden und konnten nur nach der Ernte eine Pause einlegen. Nach der Ernte und zum Frühlingsfest machten die Schattenspielensembles und halbprofessionelle Gruppen Tourneen durch die Dörfer.

Nach Sonnenuntergang begannen die Aufführungen, die das Publikum sehr begeisterten. Die Handlungen waren beliebten historischen mythischen Geschichten entnommen, wie zum Beispiel den Stücken Die Drei Reiche, Die Räuber vom Liangshan-Moor, Die weiße Schlange und die Pilgerfahrt nach Westen.

Die Schattenspielkunst fand nicht nur auf dem Lande Verbreitung, sondern auch in den Städten. Sie war sogar bei den kaiserlichen und adligen Höfen beliebt. Während der Regierungszeit der Kaiser der Qing-Dynastie Kang Xi, Yong Zheng, Qian Long, Jia Qing und Dao Guang (1662–1850) spielten mehr als zehn Schattenspielensembles in Beijing. An manchen königlichen Höfen wurden Schattenspielkünstler engagiert. Oder man holte bekannte Künstlergruppen an den kaiserlichen Hof.

Wenn man in die Geschichte zurückblickt, kann man feststellen, dass das Schattenspiel schon während der Westlichen Han-Dynastie (206 v. Chr.–25) angefangen hat. Als der Han-Kaiser Wu noch klein war, zeigte ihm eine Hofdame Schatten von Figuren aus Blättern auf dem Fenster. Als er dann später als Han-Kaiser an seine jung verstorbene Konkubine, eine gewisse Li, dachte, ließ einer der Hofmagiere ein Zelt aufstellen und „zauberte“ die Umrisse der geliebten Gestalt auf die Zeltplane. In Wirklichkeit hatte der findige Magier gute Arbeit mit seiner Schere geleistet. Er hatte die äußere Form der kaiserlichen Favoritin ausgeschnitten und sie vor einer Lampe hin- und herbewegt.

Anfangs wurden die Figuren aus Papier ausgeschnitten. Später wurde das Papier durch Leder ersetzt. Historischen Aufzeichnungen zufolge entwickelte sich das Schattenspiel schon im 8. Jahrhundert während der Nördlichen Song-Dynastie zu einer darstellenden Kunst. Die bekannten Schattenspieler wie Jia Silang und Wang Sheng wurden in zwei Büchern aufgezählt.

Im 13. Jahrhundert gab es Schattenspielgruppen in der Armee der Yuan-Dynastie. Mit Tschingis Khans Feldzug nach Westen fand das Schattenspiel auch in Zentralasien und in den arabischen Ländern Verbreitung.

In der Ming-Zeit (1368-1644) erfuhr das Schattenspiel eine weitere Entwicklung und war beim Publikum in den Provinzen Shaanxi, Shanxi, Hebei, in Beijing und im Nordosten beliebt. Neben ein oder zwei Koffern, in denen alle Figuren und Ausstattungen verpackt waren, nahmen die Künstler eine Wanderbühne mit auf ihre Tournee. Der Schirm bestand entweder aus Reispapier oder aus Seide. Mit geschickten Händen zeigten die Schattenspieler lebhafte und spannende Szenen.

Die Schattenspieler haben für jede Figur typische Gesichtszüge herausgearbeitet und so gestaltet, dass das Charakteristische ihres Wesens überdeutlich zum Ausdruck kommt. Obwohl die Figuren klein sind, kann das Publikum die Mienen der Figuren klar erkennen.

Die frühen Schattenspielfiguren waren religiösen Fresken und Statuen entnommen, die Gesichtszüge von Göttern und Dämonen zum Beispiel sind auf die Gestalten von „Himmelsgöttern“ und „Kriegern“ zurückzuführen. Die Gesichtsfarben haben eine bestimmte symbolische Bedeutung. Schwarz verkörpert die Aufrichtigkeit und Selbstlosigkeit. Rot die Treue und Großmütigkeit, Gelb bedeutet Tapferkeit und Unbarmherzigkeit. Blau ist die typische Farbe für Banditen und Grün ist für Geister und Räuber vorgesehen. Die weißen Gesichter gehören den hinterlistigen Menschen.

Viele ausländische Wissenschaftler der Volkskunde interessieren sich für die chinesische Schattenspielkunst. Manche Museen haben Sinologen für die Erforschung dieser Kunst angestellt. In der Bundesrepublik Deutschland und in den USA gibt es sogar Schattenspielensembles, die traditionelle chinesische Stücke wie Die weiße Schlange oder Die Pilgerfahrt nach Westen zeigen und damit die Verbreitung der chinesischen Schattenspielkunst heute noch fördern.

Anfang der 80er Jahre haben die chinesischen Schattenspielkünstler ihr Repertoire erweitert. Sie spielen heute sowohl traditionelle wie auch moderne Stücke. Sie haben in den letzten Jahren in Frankreich, Österreich, in der Bundesrepublik Deutschland, in den USA und in Japan gastiert und großen Anklang gefunden.

Aus China im Aufbau, Nr. 1, 1986

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