April 2005
Ihre Position: Homepage >

Blumen im Meer der Sünde

 

China an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Unter dem Zwang zur politischen Erneuerung und der Loslösung von althergebrachten Traditionen macht man sich im Reich der Mitte auf, den Anschluss an die Welt zu finden.

Blumen im Meer der Sünde ist der erste chinesische Schlüsselroman, der die turbulente Entwicklung während der letzten Jahre des Kaiserreiches verarbeitet hat und den Leser an bekannte und weniger bekannte Schauplätze führt: Peking, Shanghai, Berlin, St. Petersburg, Tokio...

Mit unvergleichlicher Ironie zeichnet die Erzählung das Sittenbild einer Gesellschaft im Umbruch, die unter Korruption, Ausschweifung und Unbedarftheit zu leiden hat und daher auch heute noch sehr aktuell anmutet.

Der Autor des Romans Zeng Pu stammte aus Changshu in der Provinz Jiangsu, wo er 1872 als einziger Sohn einer großen und traditionsreichen Familie geboren wurde, die seit dem 12. Jahrhundert in der Stadt wohnte und zahlreiche Minister, Gelehrte und Generäle hervorgebracht hatte. Nachdem der Vater Zeng Pu zu den Prüfungen in die Hauptstadt befohlen hatte, wo er 1892 den Magistertitel erwarb, nahm er seine literarische Tätigkeit auf. Zeng Pus Interesse galt vor allem den französischen Autoren sowie dem französischen Lebensstil mit den Salons, der Romantik und dem spontanen Charakter der Menschen. Zwischen 1910 und 1920 übersetzte er aus dem Werk diverser französischer Autoren wie Balzac, Molière, Zola sowie Hugo, von dem er ganz besonders stark beeinflusst worden ist. Die literarische Arbeit war allerdings auch für Zeng Pu nur eine vorübergehende Beschäftigung, wie sein politisches Engagement zwischen 1908 und 1926 auf verschiedenen höheren Posten in der Provinz Jiangsu belegt. 1927 zog er sich schließlich aus dem politischen Geschäft zurück. Dank der neuerlichen Muße besaß Zeng Pu nunmehr Zeit für die Erfüllung seiner literarischen Ambitionen. So nahm er die Arbeiten an Blumen im Meer der Sünde wieder auf, wobei er während der zurückliegenden beiden Jahrzehnte genug Insiderwissen über die gehobene Schicht der Diplomaten, Minister und Höflinge erworben hatte, um seine Darstellung glaubwürdig erscheinen zu lassen.

Der Roman Blumen im Meer der Sünde ist anerkanntermaßen eines der stringentesten und sprachlich ausgefeiltesten Erzählwerke zum Ende der Qing-Dynastie. Blumen stellt nach unserer heutigen Vorstellung und unserem Geschmack vielleicht keine „Weltliteratur“ dar, doch es ist mit Sicherheit eines der ersten Werke, das den Blick auf die Welt außerhalb Chinas gerichtet hat. Nicht allein fiktive Gelehrten- und Beamtengestalten treten auf, sondern Kaiser und Zaren sowie Männer aus dem hohen Diplomatenkorps, hinter deren literarischen Gestalten sich unschwer konkrete historische Persönlichkeiten ausmachen lassen. Damit jedoch wird Blumen zum Schlüsselroman seiner Zeit.

Blumen im Meer der Sünde ist selbst für chinesische Leser heutzutage keine einfache Lektüre, wenn es um das Wiedererkennen der durch anagramatische Namensvertauschung entstellten oder durch eine Neuschöpfung verdeckten historischen Persönlichkeiten geht. Um dem mit dieser Zeit noch weit weniger vertrauten deutschen Leser den Zugang etwas zu erleichtern, wurde die Übersetzung mit zwei Indizes versehen, einem umfangreicheren mit Namen zeitgenössischer Persönlichkeiten Chinas sowie einem schmaleren mit Namen zu Personen aus dem Westen. Namen, Stellung und Werk von Gestalten aus historisch weiter zurückliegenden Zeiten, auf die im Roman immer wieder angespielt wird, sind in einem weiteren Abschnitt des Anhangs erläutert.

Zeng Pu: Blumen im Meer der Sünde, aus dem Chinesischen von Thomas Zimmer. 3-89129-725-4, 511 Seiten, 35 Euro. IUDICIUM Verlag GmbH, München 2001.

-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+--+-+-+-+--+-+-+--+-
Zurück