April 2005
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Aus dem Schatten Amerikas heraustreten?

 

Von Mitarbeiterin Lu Rucai

Während all der Zeit, in der China in den Mainstream gelangen wollte, war das Wort Modernisierung gleichbedeutend mit Amerikanisierung und der amerikanische Einfluss hat alle Gebiete der chinesischen Gesellschaft durchdrungen. Das Konzept der „De-Amerikanisierung“, das vor kurzem in den Medien Erwähnung fand, hat folglich starke Debatten ausgelöst.

Der stetig wachsende Einfluss Amerikas

Ding Gang, leitender Journalist der People’s Daily hat jahrelang als UN-Sonderkorrespondent gearbeitet. Nach seiner Heimkehr war er, wie viele zurückkehrende Auslandschinesen über das Ausmaß des ausländischen Einflusses im städtischen China, besonders in der Hauptstadt, die ihr Gesamterscheinungsbild verändert hat, überrascht. Die Welt, die Ding scheinbar in New York zurückgelassen hatte, schien ihm nach Hause gefolgt zu sein. Er findet: „Ich wohne in einem mir bekannten, aber veränderten Beijing. In Beijing gibt es Hochhäuser, die noch großartiger sind als die in New York. Immobilienprojekte wie 5th Avenue, Madison Avenue, Sunshine Manhattan und Backstreet Lifestyle of Manhattan zeigen den Wunsch, hier in China ein Manhattan erstehen zu lassen.“

Der Einfluss amerikanischer Kultur ist überall zu sehen. Für viele bedeuten importierte amerikanische Waren den Höhepunkt von Geschmack und gutem Leben. Aus der Sicht eines jungen, chinesischen Städters bedeutet die Unwissenheit amerikanischer Redewendungen, wie „cool“ und „get real“ den gesellschaftlichen Tod und Leute aller Altersgruppen verabschieden sich mit einem saloppen „bye bye“. Ein Aspekt der Amerikanisierung, den Ding besonders bestürzend findet, ist das häufige Auftreten des Wortes „mall“ in den chinesischen Texten der großen und lokalen Zeitungen. Bücher über amerikanische Politik, Wirtschaft und Recht sind in den Auslagen der wichtigen Buchläden zu finden und die neuesten Hollywoodfilme sind leicht von den Straßenverkäufern in der ganzen Stadt auf DVD zu bekommen. Ding findet: „Für diejenigen, die in den frühen 80er Jahren geboren wurden, sind Coca Cola, KFC und McDonalds ultra hip und einen großen Jeep zu besitzen und ein großes Haus, das mit importierten Möbeln und Geräten gefüllt ist, ist das Ideal. Für viele Chinesen ist das heutige Amerika ihr Morgen.“ Er hingegen findet das ganze Phänomen beunruhigend und störend.

Chinesische Eigenheiten betonen

Ding weist darauf hin, dass, wenn man Chinas Bevölkerung von 1,3 Milliarden betrachtet, wie auch die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und natürlichen Bedingungen, ist es unmöglich, es in ein zweites Amerika zu verwandeln. Alleine von einem Umweltstandpunkt aus betrachtet ist Dings Ansicht auf einer Grundlage fundiert. Die amerikanische Bevölkerung macht nur 5 Prozent der Weltbevölkerung aus, doch verbraucht Amerika 25 Prozent des weltweiten Benzins. In seinem Buch The Eagle’s Shadow: Why America Fascinates and Infuriates the World schreibt der amerikanische Journalist Mark Hertsgaard, dass der amerikanische Lebensstil wirklich extrem verlockend ist, doch wenn die restlichen sechs Milliarden Menschen der Welt ihn nachahmen wollten, bräuchte man drei weitere Erdballen, um die notwendigen Ressourcen zu schaffen und die resultierende Verschmutzung zu absorbieren. Ding hat sich schon eine Zeit lang mit dem Konzept der „De-Amerikanisierung“ beschäftigt. Am 13. September 2004 wurde in der Global Times sein Artikel De-Americanization – an Unavoidable Issue publiziert. „Da es praktisch unmöglich ist, Amerikanisierung zu vermeiden, müssen wir das Bewusstsein der De-Amerikanisierung herausbilden“, sagt Ding. De-Amerikanisierung bedeutet nicht Anti-Amerika. In Wirklichkeit ist es so, dass die amerikanische Kultur immer mehr Einfluss auf die chinesische hat und dadurch immer mehr Konflikte und Auseinandersetzungen auftreten werden. Ein amerikanisiertes China wird gewiss auf einigen Gebieten ein starker Kontrahent Amerikas werden.

Ding sieht sein Konzept der „De-Amerikanisierung“ als Vorantreiben des „chinesischen Charakters“. Er findet es lachhaft, dass es einen Diskussionsbedarf darüber gibt, ob es notwendig ist für chinesische Kinder, die chinesische klassische Literatur zu lesen und zu lernen. Er findet: „Man kann dieses Thema diskutieren, bis man Tod umfällt. Dass sich die Amerikanisierung so schnell und einfach ausbreitet, ist nicht, weil die amerikanische Zivilisation so unwiderstehlich ist, sondern, weil wir begonnen haben, Aspekte unserer traditionellen Kultur zu verlieren, wovon das Wissen um die klassische chinesische Literatur ein offensichtlicher Teil ist.“

Dings „De-Amerikanisierung“ ist keine totale Verneinung aller amerikanischer oder ausländischer Dinge. Er erklärt: „Wir müssen mehr Erfahrungen aus dem Ausland sammeln, doch wir sollten unsere Lernergebnisse in unsere eigene ‚Erde‘ verpflanzen, um ein neues Produkt zu erzeugen. Wenn China ein papageienartiger Student bleiben will, der ein Leben lang alles passiv imitiert, was andere tun, dann werden wir nie erwachsen.“ Deshalb ist Innovation der Kern des „De-Amerikanisierungskonzeptes“.

Sich mit „De-Amerikanisierung“ identifizieren

Dings Artikel rief starke Leserreaktionen hervor. Der Vizevorstand des Instituts für Politikwissenschaften der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften Fang Ning bemerkt, dass „De-Amerikanisierung“ ein wichtiges Konzept sei, und dass „es unsere Anerkennung der Tatsache demonstriert, dass Chinas Modernisierungsantrieb seinen eigenen Weg finden muss und nicht einfach ausländische Erfahrungen imitieren soll, wie erfolgreich sie auch sein mögen. In dieser Zeit der Globalisierung sollten alle Länder voneinander lernen, aber letztendlich jedes durch seine eigenständige, ihm selbst innewohnende Stärke und Kreativität gewinnen. Denjenigen, die damit zufrieden sind, nur anderen zu folgen, fehlt es an Intelligenz und Voraussicht. Das Auftauchen des ‚De-Amerikanisierungskonzeptes‘ beweist uns, dass wir gelernt haben und reifer werden.“

Fang Ning sagt: „Wir müssen noch immer von Amerika lernen, doch wir sollten vor Vergötterung Halt machen. Wir sollten eine unabhängige Art des Lernens finden, die uns befähigt, unsere Schwachstellen durch die Beobachtung der Stärken anderer zu bewältigen.“

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