April 2005
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Der Wuyishan

Von Tan Manni

Der Wuyishan, eine pittoreske Berglandschaft, liegt im Kreis Chong’an der Provinz Fujian in Südostchina. Hier gibt es keinen Großstadtlärm und keine Umweltverschmutzung. Touristen kommen gern hierher, um den Frieden der Natur und die gesunde Luft zu genießen.

Die Wuyi-Bergkette bildet die Grenze zwischen den Provinzen Fujian und Jiangxi. Der Wuyishan, der sich über 69 km² erstreckt, ist der schönste Teil dieser Bergkette. Schon im Altertum war der Wuyishan als Attraktion Südostchinas bekannt. Doch 200 Jahre lang wurde er wegen seiner Unzugänglichkeit sehr wenig besucht. In den letzten Jahren wurden moderne Straßen angelegt, so dass diese Region leichter erreichbar ist. Heute gehört der Wuyishan zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten Chinas.

Der Wuyishan ist ebenso majestätisch und schön wie die Landschaft bei Guilin, wie der Huangshan, der Taishan und der Huashan. Mit einer durchschnittlichen Höhe von ungefähr 100 m über dem Meeresspiegel lässt sich der Wuyishan leicht besteigen. Selbst älteren Touristen ist es kein Problem, den Gipfel zu erreichen.

Einige Bächlein winden sich durch die Felsen und sammeln sich zu einem Fluss, der sich durch verschiedene Schluchten schlängelt. Daher trägt er den Namen „Jiuqu“ (neun Biegungen). Am Ufer bietet sich ein herrlicher Anblick, und man kann mit dem Floß Vergnügungsfahrten auf dem Fluss unternehmen.

Ein Meisterstück der Natur

Einige Kollegen aus Beijing und ich verließen das Dorf Xingcun an der neunten Biegung des Jiuqu-Flusses und folgten dem Flusslauf. Bevor der Fluss die achte Biegung macht, fließt er durch eine weit ausgedehnte, fruchtbare Ebene. Dann bahnt er sich seinen Weg durch eine enge Schlucht. Am Ufer türmen sich Berge übereinander. In Form einer Katze, eines Menschengesichts, eines Löwen oder einer Schildkröte ragen die Felsen empor. Nun verwandelt sich der Fluss in einen reißenden Strom. Gewaltige Wassermassen peitschen in schnellem Tempo gegen Felsklippen, was ein betäubendes Getöse hervorruft.

Zu den Besonderheiten des Wuyishan gehört auch, dass seine Berge aus zinnoberroten, eisenschwarzen oder grauen Felsen bestehen. Vor 70 bis hundert Millionen Jahren war hier zunächst ein Becken. Wegen der langjährigen Verwitterung wurden eisen- und aluminiumhaltige Substanzen von den umliegenden Bergen herabgespült und sammelten sich in diesem Becken. Nach und nach bildeten sie durch Oxydierung eine dicke Schicht roten Gesteins. Vom herabstürzenden Wasser zerfurcht, entstanden aus der Gesteinsschicht verschiedenartige schroffe Felswände, die sich zu Schluchten und Engpässen formten, und die rote Oberfläche des Gesteins wurde durch die Verwitterung schwarz oder grau gefärbt. Die herabstürzenden Wassermassen rieseln durch Felsspalten und vereinigen sich wieder zu Bächen.

Besteigung der Felsgipfel

Nach einer großen U-förmigen Biegung des Flusses sieht man einen einzigartige Naturszene: Am linken Ufer steht eine hundert Meter hohe und mehrere hundert Meter breite Felswand, die der „Xianzhang-Gipfel“ (Gipfel der Handflächen des Unsterblichen) genannt wird. Von Wellen durchfurcht sieht ihre Oberfläche wie eine Handfläche aus – daher der Name. Hinter dieser Felswand hebt sich ein Gipfel scharf gegen den Himmel ab. Am rechten Ufer erhebt sich eine Felswand mit drei Spitzen, die aussieht, als ob sie zweimal eingeschnitten worden wäre. Oben auf den Felsen stehen Pavillons. Unten rauscht der 20–30 Meter breite Jiuqu-Fluss. An seinem Ufer wächst Bambus üppig. Dies erinnert an die traditionelle chinesische Landschaftsmalerei.

Die Besteigung der Felsgipfel des Wuyishan war früher sehr schwierig, teils sogar gefährlich, weil es keinen Weg gab. Man musste mit Hilfe von Lianen und in die Felsen gemeißelten Vertiefungen hinaufklettern. Über die Felsklüfte spannen sich nur schmale Brücken. Heute hat man die Bedingungen für die Besteigung der Felsgipfel wesentlich verbessert. Verschiedene Sicherheitsmaßnahmen wurden getroffen. An gefährlichen Stellen wurden Geländer oder Eisentreppen angebracht. Eine 220 Stufen hohe Freitreppe aus Granit führt gemächlich zum höchsten Gipfel.

Eine ehemalige Lehranstalt

An der fünften Biegung des Flusses steht eine Häusergruppe. Hier hatte eine ehemalige Lehranstalt namens Wu Yi Jing She ihren Sitz, die erste Privathochschule Chinas. Sie wurde 1183, zur Zeit der Südlichen Song-Dynastie, von dem großen Philosoph Zhu Xi gegründet. Selbst viele bekannte Gelehrte aus allen Landesteilen belegten Vorlesungen bei ihm, so dass sich diese Privathochschule zu einem Kulturzentrum entwickelte. Nach dem Tode Zhu Xis wurde seine idealistische Philosophie von den Herrschern des feudalen Staates offiziell anerkannt, doch wurde die Lehranstalt Zhu Xis später im Krieg niedergebrannt. Die Häuser der Wu Yi Jing She, die wir heute sehen, stammen aus der Zeit der Qing-Dynastie (1644–1911).

Kulturdenkmäler aus uralten Zeiten

Über Felsklüfte am rechten Ufer, an der dritten Biegung des Flusses, spannen sich Einbäume, die für Archäologen und Historiker immer noch ein Rätsel sind. Zhu Xi war der Meinung, diese Einbäume seien Särge, in denen Tote eines uralten Volkes beerdigt worden wären. Heute wird behauptet, dass es sich um Einbäume aus uralten Zeiten handle. Damals sollen die schroffen Felsen größtenteils unter Wasser gestanden haben. Die Einbäume hätten zwischen den Felsen gelegen. Als das Wasser dann zurückgegangen sei, seien die Klüfte ans Tageslicht gekommen, und die Einbäume seien in ihrer Lage geblieben, so wie sie sich heute noch über die Klüfte spannen. Vor ein paar Jahren wurden zwei dieser Einbäume heruntergeholt und erforscht. In einem wurde feine weiße Erde gefunden. Man nimmt an, dass es sich um Knochenasche handelt. In dem anderen stieß man auf Knochen, Holzbehälter in Form verschiedener Tierarten, Hanfstoff und Bambusmatten. Aus archäologischen Untersuchungen ist zu schließen, dass die feine weiße Erde 3840 Jahre alt ist. Zu der Zeit herrschte in China die Xia-Dynastie. Historisch ließe sich erklären, dass das Yue-Volk, das in Schluchten oder an Bächen wohnte, Särge in Form eines solchen Einbaums benutzte und über die Klüfte legte, um die Toten vor Raubtieren zu schützen. Nach und nach wurde dies zum üblichen Bestattungssystem. Diese Särge sind nicht verfault und verbreiten einen leichten Duft. Aus welcher Baumart man diese Särge schnitzte und auf welche Weise man sie auf die schroffen Felsen hinaufschaffte, ist immer noch nicht geklärt.

Eine schöne Legende

Ab der zweiten Biegung des Flusses erhebt sich ein mehrere Dutzend Meter hoher Berg, der der „Yunü“-Gipfel (Gipfel der Tochter des Jadekaisers) genannt wird. An seinen Hängen wachsen viele Bäume und verschiedene Blumen wie rote Azaleen und wilde weiße Rosen. In allen vier Jahreszeiten blühen hier die Blumen, ganz so, als wolle man die Tochter des Jadekaisers mit Blumen schmücken, wie eine Legende erzählt. Der Yunü-Gipfel wird gern bestiegen, weil er mit einer Legende verbunden ist: Vor langen und langen Jahren kam ein junger Mann namens Da Wang aus einer Nachbarprovinz. Er leitete die Einwohner an, Berge zu spalten und Felsen abzutragen, um das Hochwasser abzuleiten. So entstand der Jiuqu-Fluss. Der junge Mann lehrte die Einwohner den Teeanbau, um ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. In einem Frühjahr schwebte die Tochter des Jadekaisers zum Vergnügen auf einer Wolke. Von der reizvollen Landschaft am Jiuqu-Fluss angezogen, stieg sie herunter und wollte nicht mehr heimkehren. Sie blieb ohne Erlaubnis ihres Vaters auf der menschlichen Welt, und Liebe zu dem jungen Mann Da Wang entbrannte in ihr. Doch der Eisenpanzer-Geist klagte sie vor ihrem Vater an, und der Jadekaiser befahl ihm, die Prinzessin festzunehmen und zurückzubringen. Aber er bemühte sich vergebens, denn die Prinzessin leistete starken Widerstand. Da ließ der Jadekaiser ein Wunder geschehen, worauf das Paar sich in Felsen verwandelte und voneinander getrennt wurde. Der Eisenpanzer-Geist stand zwischen ihnen, um sie zu überwachen. Wir sehen heute den majestätischen Da-Wang-Gipfel wie einen riesigen Pilz am Südufer des Jiuqu-Flusses dem Yunü-Gipfel gegenüber aufragen und eine Felswand zwischen den beiden stehen.

Ein taoistisches Zentrum

An der zweiten Biegung des Flusses befindet sich der „Wuyi-Palast“, eines der sechs bekanntesten taoistischen Klöster Chinas. Zur Zeit der Song-Dynastie bestand der „Wuyi-Palast“ aus insgesamt 300 Hallen und Zimmern, die später in einem Krieg niedergebrannt wurden. Das heutige Kloster wurde 1526, zur Qing-Zeit, wieder aufgebaut. Vor dem Kloster stehen noch zwei 900 Jahre alte chinesische Zimtbäume, und alle Brunnen sind in der Umgebung zu finden. Das zeugt von dem Alter des Klosters. Da der Wuyishan auch ein Kulturzentrum war, wurden bekannte Philosophen und Literaten ihrer Zeit, zum Beispiel Zhu Xi, Lu You und Xin Qiji zur Zeit der Südlichen Song-Dynastie, nacheinander zu Vorstehern dieser Region ernannt. Auch heute ist der Leiter des Verwaltungsbüros der Wuyishan-Region ein Literaturforscher, Zhang Muliang. In den sechziger Jahren absolvierte er das Studium der chinesischen Literatur an der Xiamen-Universität.

Als Hauptgott des „Wuyi-Palastes“ wird der „Herr des Wuyishan“ verehrt. Die „Geschichte des Wuyishan“ berichtet, dass ein Unsterblicher 220 Jahre vor unserer Zeitrechnung, im 2. Regierungsjahr des Kaisers Shi Huang Di der Qin-Dynastie, auf einem weißen Pferd reitend auf einer purpurroten Wolke schwebte und auf den Wuyishan herunterstieg. Er gab an, dass er der Herr des Wuyishan wäre und auf Befehl des Himmelsgottes über diese Region herrschen sollte. Nach Shi Ji, den geschichtlichen Aufzeichnungen, befahl der Han-Kaiser Wu Di, dem „Herrn des Wuyishan“ trockenen Fisch darzubringen. Danach verehrten die Kaiser den „Herrn des Wuyishan“ als Berggott. Früher wurde die Ansicht vertreten, dass die Gestalt des „Herrn des Wuyishan“ aus dem wirklichen Leben gekommen sei. Zhu Xi zum Beispiel meinte, dass der „Herr des Wuyishan“ wahrscheinlich der Führer eines uralten Volksstammes gewesen sei, dessen Mitglieder großes Vertrauen in ihn setzten und ihn als Unsterblichen verehrten. Auch moderne Historiker sprechen für diese Theorie. Der „Herr des Wuyishan“ sei, so heißt es, ein Nachfolger des Yue-Königes Goujian und der Führer eines Stammes des Minyue-Volkes gewesen. Der Kaiser der Qin-Dynastie, Shi Huang Di, hätte den Titel „Minyue-König“ abgeschafft und ihn in „Herrn“ (Stammesführer) umbenannt.

Hotels im traditionellen Stil

Mit der Entwicklung des Tourismus wurden am Fuß des Wuyishan auch Hotels im traditionellen Stil gebaut:

Das Mantingshanfang-Hotel. Dies ist zweistöckiges Haus, dessen 80 Zimmer mit modernem Komfort ausgestattet sind. Von außen wirkt das Hotel schlicht, aber es fügt sich gut in die Landschaft ein. Kieswege führen zu diesem Hotel oder verbinden die Anlagen des Hotels miteinander. Die Betten, Sessel, Tische, Lehnstühle und die anderen Möbel sind aus Rundholz. Sie sind nicht verziert und farblos lackiert, um ihre eigenen Farben beizubehalten. Dies verstärkt die idyllische Atmosphäre. Diese Möbel sind bei westlichen Möbelliebhabern sehr gefragt.

Das Wuyishanzhuang-Hotel. Dieses Hotel mit 60 Betten wurde im vorigen Jahr in der Nähe des Mantingshanfang-Hotels gebaut. Es ist im selben Stil wie dieses, aber noch geschmackvoller und harmonisiert mit der Berglandschaft. Der Entwurf dieses Hotels wurde bereits preisgekrönt.

In der Nähe des Mantingshanfang-Hotels liegt ein kleines Dorf, wo eine kleine Stadt im Stil der Song-Dynastie gebaut wird. Durch diese mit Türmen versehene Stadt läuft eine 200 m lange und 4 m breite Straße. Die Verkäufer und Verkäuferinnen, die Kellner und Kellnerinnen sowie das andere Dienstleistungspersonal tragen Kleider im Stil der Song-Zeit. Das Restaurant „Grün und Rot“ ist schon eingeweiht worden. Es ist ein Hofhaus mit Wandelgängen, von dem aus man einen schönen Ausblick auf die Flusslandschaft hat. In dieser Stadt werden auch kleine Hotels im Stil alter Bauernhöfe gebaut. Alle Anlagen und Einrichtungen erinnern an die alte Zeit, so trägt das Postamt zum Beispiel den songzeitlichen Namen. Im antiken Theater kann das Publikum das traditionelle Puppentheater von Quanzhou in der Provinz Fujian genießen.

Um die Verkehrsbedingungen zu verbessern, wurde eine Landstraße verbreitert, die die Wuyishan-Region und die Bahnstation Shaowu miteinander verbindet. So kann man den Fuß des Wuyishan schon nach einer Stunde Autofahrt vom Bahnhof erreichen. Der Flughafen Chong’an, auf dem zur Zeit nur mittelgroße und kleine Flugzeuge landen können, liegt nur 10 km vom Zentrum der Wuyishan-Region entfernt. Man ist dabei, eine neue Fluglinie, die Fluglinie Fuzhou–Xiamen–Wuyishan, zu eröffnen. Der Staat plant, den Flughafen zur Landung von großen Flugzeugen auszubauen. Dann kann man den Wuyishan in nur einer Flugstunde von Hong Kong aus erreichen.

Aus China im Aufbau, Nr. 11, 1985

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