Im
letzten Sommer hingen verwitterte Poster der lächelnden
Hillary Clinton an Zeitungskiosken und Zeitschriftenständen
in ganz China. Über 600 000 Exemplare ihrer Autobiographie
Living History verkauften sich hier bisher, 200 000
allein im ersten Monat. Übersetzungen überaus erfolgreicher
Werke aus dem Westen wie Who Moved My Cheese und
Harry Potter erklommen ebenfalls die Spitze der chinesischen
Bestseller-Liste. Auch das Kinderbuch Roses von Popstar
Madonna schnitt gut ab. Die größte Nachfrage
besteht in China selten nach inländischen Autoren,
sondern eher nach international bekannten Namen wie David
Beckham, der im Winter 2003 die chinesische Bestseller-Liste
anführte.
My
Side, von Beckham in Mitarbeit mit dem Sportjournalisten
Tom Watt verfasst, wurde Anfang November 2003 in 14 chinesischen
Städten auf den Markt gebracht, nur zwei Monate nach
dem englischen Original. Schon in der ersten Woche stürmte
das Buch an die Spitze der landesweiten Bestseller-Liste.
Die chinesischen Verlage kommen heute schneller aus den
Startlöchern, wenn es darum geht, Übersetzungen
englischsprachiger Bestseller anzufertigen. 1994 brachte
der Volksliteratur-Verlag (People’s Literature Publishing
House) eine chinesische Fassung von The Bridges of Madison
County heraus, als der Roman im Westen noch an der Spitze
der Bestseller-Listen stand. Andere Verlage in China zögerten
mit der Entscheidung, ob sie die Übersetzungsrechte
an dem Buch kaufen sollten, doch der Volksliteratur-Verlag
wagte sich hervor - und verkaufte prompt sechs Millionen
Exemplare in China. „Früher verlegten wir in der Regel ausländische
Klassiker, keine zeitgenössischen Werke“, sagt Sun
Shunlin, Künstlerischer Direktor beim Volksliteratur-Verlag.
„Wir achten mittlerweile mehr auf Werke, die beim ausländischen
Publikum beliebt sind. Wir konzentrieren uns auch auf zeitgenössische
Meisterwerke, z. B. von Autoren, die mit dem Nobelpreis
ausgezeichnet wurden.“
Der
Erfolg von Bridges of Madison County öffnete
die Schleusen. Andere Titel, die eine Millionenauflage erreichten,
waren The Horse Whisperer, Tuesdays with Morrie
und A Brief History of Time. Die Preise für chinesische
Übersetzungen von Büchern wie demjenigen von David
Beckham liegen tiefer als für die Originale. My Side
kostet in den vornehmeren Beijinger Buchhandlungen 30 Yuan,
womit es bereits am oberen Ende der Preisskala angesiedelt
ist. Es ist unschwer zu erkennen, welche Gewinne den chinesischen
Verlagen winken. Yilin Press, ein staatlicher Verlag, sicherte
sich die Rechte an Hillary Clintons Autobiographie. China
City Press, ein relativ junger Name auf dem Markt für Übersetzungen,
stach seine Rivalen Yilin Press und Volksliteratur-Verlag
aus und erwarb vom britischen Verlag Harper Collins die
chinesischen Rechte an My Side. Laut dem Chefredakteur
Li Yue brachte Beckhams Autobiographie City Press genug
ein, um dem Verlag Mut zur Einfuhr weiterer Bestseller zu
machen.
Der 1951 gegründete Volksliteratur-Verlag brachte einer
chinesischen Leserschaft viele ausländische Werke näher.
In der Vergangenheit beschränkten sich seine Titel
auf die Klassiker, doch nach dem Erfolg von Bridges of
Madison County wurde der Verlag zu einem Vorreiter für
die Übersetzung ausländischer Bestseller und führte
hunderte Titel in China ein. Die kürzlich erschienene chinesische
Fassung der Harry-Potter-Reihe übertraf alle bisherigen
Verkaufszahlen. Mit den ersten vier Auflagen des ersten
Bands gingen über zwei Millionen Exemplare über den Ladentisch,
und nach der Herausgabe des Films zum Buch vervielfachte
sich diese Zahl noch.
Sun Shunlin vom Volksliteratur-Verlag bemerkt, dass der
Erfolg von weltweiten Beststellern einige Buchhändler
dazu bewogen hat, die englischen, französischen oder
deutschen Originalfassungen einzuführen. Er schätzt,
dass mittlerweile über 90 Prozent der chinesischen Verlage
ausländische Bücher einführen.
Doch einige Straßenfeger erlitten in China auch
Schiffbruch. Stephen King z. B. war ein Flop. Von der chinesischen
Fassung von The Alchemist, einem weltweiten Bestseller,
verkauften sich nur 10 000 Exemplare. Sun Shunlin macht
schlechtes Marketing und eine schlechte Aufmachung dafür
verantwortlich - beides sind in China, wo der Umbau der
Kommandowirtschaft erst vor zwei Jahrzehnten einsetzte,
relativ neue Konzepte.
Ein notorisches Problem mancher chinesischen Verlage
ist die schlechte Übersetzungsqualität. In Jack:
Straight from the Gut, dem Verkaufsschlager von Jack
Welch, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von General
Electric, zählte man nicht weniger als peinliche 2000
Übersetzungsfehler. Dennoch wurden in China über 600
000 Exemplare des Buchs verkauft. Und die chinesische Fassung
von James Joyces Finnegan’s Wake, von Yilin Press
herausgegeben, weist nur eine flüchtige Ähnlichkeit
mit dem Original auf.
„Minderwertige Übersetzungen rühren daher, dass
die Verleger immer weniger Zeit für die Übertragung
eines Werks ins Chinesische ansetzen“, sagt Sun Shunlin.
„Einige Verlage nehmen eine schlechtere Übersetzungsqualität
in Kauf, um ihr Buch vor der Konkurrenz auf den Markt zu
bringen. Einige Übersetzer liefern ihre Arbeit innerhalb
von Wochen ab. Doch eine minderwertige Übersetzungsqualität
beeinträchtigt ohne Zweifel die Verkäuflichkeit
eines Buchs.“
Sun setzt seine Hoffnungen in das Qualitätsbewusstsein
der Leserinnen und Leser und in die Selbstregulierung der
Branche. „Die chinesische Leserschaft wird immer anspruchsvoller,
und sie wird Gutes von Schlechtem unterscheiden können“,
sagt er.
Während der Verkauf von Übersetzungsrechten
nach China für westliche Verlage eine Dreingabe darstellt,
sind sie für chinesische Verlage eine Gelegenheit, um mächtige
Gewinne einzufahren. An der Internationalen Buchmesse in
Shanghai im August 2003 stellten 360 Verlage aus China und
dem Ausland ihre Produkte aus und verhandelten um Übersetzungsrechte.
Gegenüber dem Jahr davor stieg die Zahl der abgeschlossenen
Verträge. Doch das Übersetzungsgeschäft ist
keine Einbahnstraße. Englische Fassungen chinesischer
Klassiker wie Der Traum der Roten Kammer verkaufen
sich in China und im Ausland gut, und moderne Werke wie
Wild Swans und The Good Women of China von Xin
Ran waren auf ausländischen Buchmärkten ebenfalls
erfolgreich. Offenbar sind Übersetzungen zurzeit gewinnbringend.