Mai 2004
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Ausländische Bestseller in China: eine Lizenz für Gewinne?

Von Mark Godfrey

Wladimir Putin, David Beckham und Hillary Clinton würde man nicht unbedingt für Genossen halten, doch in chinesischen Buchhandlungen sind alle drei der Tipp des Monats. Jack Welch, ehemaliger Vorstandsvorsitzender bei General Electric, ist ein weiterer Favorit, wenn man die Bücherregale in Beijing und in den Provinzhauptstädten zum Maßstab nimmt. Bücher über Selbsthilfe und Business sind ebenfalls heiße Ware.

Im letzten Sommer hingen verwitterte Poster der lächelnden Hillary Clinton an Zeitungskiosken und Zeitschriftenständen in ganz China. Über 600 000 Exemplare ihrer Autobiographie Living History verkauften sich hier bisher, 200 000 allein im ersten Monat. Übersetzungen überaus erfolgreicher Werke aus dem Westen wie Who Moved My Cheese und Harry Potter erklommen ebenfalls die Spitze der chinesischen Bestseller-Liste. Auch das Kinderbuch Roses von Popstar Madonna schnitt gut ab. Die größte Nachfrage besteht in China selten nach inländischen Autoren, sondern eher nach international bekannten Namen wie David Beckham, der im Winter 2003 die chinesische Bestseller-Liste anführte.

My Side, von Beckham in Mitarbeit mit dem Sportjournalisten Tom Watt verfasst, wurde Anfang November 2003 in 14 chinesischen Städten auf den Markt gebracht, nur zwei Monate nach dem englischen Original. Schon in der ersten Woche stürmte das Buch an die Spitze der landesweiten Bestseller-Liste. Die chinesischen Verlage kommen heute schneller aus den Startlöchern, wenn es darum geht, Übersetzungen englischsprachiger Bestseller anzufertigen. 1994 brachte der Volksliteratur-Verlag (People’s Literature Publishing House) eine chinesische Fassung von The Bridges of Madison County heraus, als der Roman im Westen noch an der Spitze der Bestseller-Listen stand. Andere Verlage in China zögerten mit der Entscheidung, ob sie die Übersetzungsrechte an dem Buch kaufen sollten, doch der Volksliteratur-Verlag wagte sich hervor - und verkaufte prompt sechs Millionen Exemplare in China. „Früher verlegten wir in der Regel ausländische Klassiker, keine zeitgenössischen Werke“, sagt Sun Shunlin, Künstlerischer Direktor beim Volksliteratur-Verlag. „Wir achten mittlerweile mehr auf Werke, die beim ausländischen Publikum beliebt sind. Wir konzentrieren uns auch auf zeitgenössische Meisterwerke, z. B. von Autoren, die mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden.“

Der Erfolg von Bridges of Madison County öffnete die Schleusen. Andere Titel, die eine Millionenauflage erreichten, waren The Horse Whisperer, Tuesdays with Morrie und A Brief History of Time. Die Preise für chinesische Übersetzungen von Büchern wie demjenigen von David Beckham liegen tiefer als für die Originale. My Side kostet in den vornehmeren Beijinger Buchhandlungen 30 Yuan, womit es bereits am oberen Ende der Preisskala angesiedelt ist. Es ist unschwer zu erkennen, welche Gewinne den chinesischen Verlagen winken. Yilin Press, ein staatlicher Verlag, sicherte sich die Rechte an Hillary Clintons Autobiographie. China City Press, ein relativ junger Name auf dem Markt für Übersetzungen, stach seine Rivalen Yilin Press und Volksliteratur-Verlag aus und erwarb vom britischen Verlag Harper Collins die chinesischen Rechte an My Side. Laut dem Chefredakteur Li Yue brachte Beckhams Autobiographie City Press genug ein, um dem Verlag Mut zur Einfuhr weiterer Bestseller zu machen.

Der 1951 gegründete Volksliteratur-Verlag brachte einer chinesischen Leserschaft viele ausländische Werke näher. In der Vergangenheit beschränkten sich seine Titel auf die Klassiker, doch nach dem Erfolg von Bridges of Madison County wurde der Verlag zu einem Vorreiter für die Übersetzung ausländischer Bestseller und führte hunderte Titel in China ein. Die kürzlich erschienene chinesische Fassung der Harry-Potter-Reihe übertraf alle bisherigen Verkaufszahlen. Mit den ersten vier Auflagen des ersten Bands gingen über zwei Millionen Exemplare über den Ladentisch, und nach der Herausgabe des Films zum Buch vervielfachte sich diese Zahl noch.

Sun Shunlin vom Volksliteratur-Verlag bemerkt, dass der Erfolg von weltweiten Beststellern einige Buchhändler dazu bewogen hat, die englischen, französischen oder deutschen Originalfassungen einzuführen. Er schätzt, dass mittlerweile über 90 Prozent der chinesischen Verlage ausländische Bücher einführen.

Doch einige Straßenfeger erlitten in China auch Schiffbruch. Stephen King z. B. war ein Flop. Von der chinesischen Fassung von The Alchemist, einem weltweiten Bestseller, verkauften sich nur 10 000 Exemplare. Sun Shunlin macht schlechtes Marketing und eine schlechte Aufmachung dafür verantwortlich - beides sind in China, wo der Umbau der Kommandowirtschaft erst vor zwei Jahrzehnten einsetzte, relativ neue Konzepte.

Ein notorisches Problem mancher chinesischen Verlage ist die schlechte Übersetzungsqualität. In Jack: Straight from the Gut, dem Verkaufsschlager von Jack Welch, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von General Electric, zählte man nicht weniger als peinliche 2000 Übersetzungsfehler. Dennoch wurden in China über 600 000 Exemplare des Buchs verkauft. Und die chinesische Fassung von James Joyces Finnegan’s Wake, von Yilin Press herausgegeben, weist nur eine flüchtige Ähnlichkeit mit dem Original auf.

„Minderwertige Übersetzungen rühren daher, dass die Verleger immer weniger Zeit für die Übertragung eines Werks ins Chinesische ansetzen“, sagt Sun Shunlin. „Einige Verlage nehmen eine schlechtere Übersetzungsqualität in Kauf, um ihr Buch vor der Konkurrenz auf den Markt zu bringen. Einige Übersetzer liefern ihre Arbeit innerhalb von Wochen ab. Doch eine minderwertige Übersetzungsqualität beeinträchtigt ohne Zweifel die Verkäuflichkeit eines Buchs.“

Sun setzt seine Hoffnungen in das Qualitätsbewusstsein der Leserinnen und Leser und in die Selbstregulierung der Branche. „Die chinesische Leserschaft wird immer anspruchsvoller, und sie wird Gutes von Schlechtem unterscheiden können“, sagt er.

Während der Verkauf von Übersetzungsrechten nach China für westliche Verlage eine Dreingabe darstellt, sind sie für chinesische Verlage eine Gelegenheit, um mächtige Gewinne einzufahren. An der Internationalen Buchmesse in Shanghai im August 2003 stellten 360 Verlage aus China und dem Ausland ihre Produkte aus und verhandelten um Übersetzungsrechte. Gegenüber dem Jahr davor stieg die Zahl der abgeschlossenen Verträge. Doch das Übersetzungsgeschäft ist keine Einbahnstraße. Englische Fassungen chinesischer Klassiker wie Der Traum der Roten Kammer verkaufen sich in China und im Ausland gut, und moderne Werke wie Wild Swans und The Good Women of China von Xin Ran waren auf ausländischen Buchmärkten ebenfalls erfolgreich. Offenbar sind Übersetzungen zurzeit gewinnbringend.

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