Am
1. Dezember 2003 sendete das chinesische Zentralfernsehen
(CCTV) ein Sonderprogramm über das Problem der Aidswaisenkinder,
das landesweit große Aufmerksamkeit erregte. Kurz
darauf spendeten die Volksmassen dem Waisenhaus namens „Familie
der Liebe“, über das im Programm berichtet wurde, eine große
Menge von Gütern. Eine neue Stufe in der Unterstützung der
Aidswaisenkinder durch die Volksmassen war erklommen.
Bereits
im Jahr 2002 strahlte der Volksrundfunk Beijing ein Programm
über den Mangel an Nahrung und Kleidung der Aidswaisenkinder
aus und rief zu einer Spendenaktion auf. Am 1. Dezember,
dem internationalen Aidstag, kamen Dutzende von Menschen
mit großen und kleinen Kleiderbündeln zur Spendenstelle,
die in der Nähe des Lamatempels liegt. Einige junge
Frauen, die für multinationale Konzerne arbeiten, brachten
die Kleider in Ordnung und schnürten sie zusammen. Sie hatten
sich als Freiwillige gemeldet und genossen diese sinnvolle
Arbeit. Eine über 80-jährige Frau kam mit einer großen
Tasche auf Krücken zu uns gehumpelt. Sie hatte die Spendenstelle
lange suchen müssen, weil wir den Weg nicht deutlich beschrieben
hatten. Wir baten sie um Verzeihung und boten ihr einen
Stuhl an. Eine Freiwillige massierte ihre Beine und eine
andere überreichte ihr eine Tasse heißen Tee. Die
alte Frau schärfte uns wiederholt ein, sicher zu gehen,
dass die Güter in die Hände der Waisenkinder gelangten.
Wir nahmen ihre Forderung mit großem Ernst zur Kenntnis.
Vor dem Weihnachtsfest 2002 schneite es in Nordchina acht
Tage ununterbrochen sehr stark, das erste Mal seit 163 Jahren,
wie man den meteorologischen Aufzeichnungen entnehmen konnte.
Der Schnee fiel in dichten, wirbelnden Flocken und die Straßen
waren blockiert. An einem bitterkalten Tag brachen wir mit
über 1000 von den Beijingern gespendeten Kleidungsstücken
zu den Dörfern Yangcun und Shilipu im Kreis Shangcai
in der Provinz Henan auf, um die Aidskranken und Waisenkinder
zu besuchen.
Im
kalten Winter sind die HIV-Positiven sehr geschwächt
und Komplikationen treten auf. Zu dieser Zeit nimmt die
Zahl der Aidskranken schnell zu, die Sterberate erreicht
einen Höhepunkt und damit auch die Zahl der Waisenkinder.
Die Eltern hatten ursprünglich aus finanziellen Gründen
ihr eigenes Blut verkauft, aber jetzt, da sie an Aids leiden,
haben sie ihre Arbeitsfähigkeit verloren. Darüber hinaus
müssen sie die Kosten der medizinischen Behandlung selbst
tragen. So sind die Familien im Endeffekt noch ärmer
als zuvor. Überdies müssen die Aidskranken und deren
Familienangehörige die körperlichen und seelischen
Qualen ertragen, die die Diskriminierung mit sich bringt.
Als
die Kinder die gespendeten Kleider entgegennahmen, erschien
auf ihrem Gesicht ein Lächeln. Sie hatten zum ersten
Mal das Gefühl, dass sich zahlreiche Menschen in der fernen
Stadt Beijing um sie kümmerten. Wir waren hocherfreut über
die heitere Miene der Kinder.
Im
September 2003 kam Wu Minglian mit 3000 US-Dollar, gespendet
von den Auslandschinesen in San Francisco, in Beijing an.
Am 26. Oktober fuhr sie in unserer Begleitung nach Henan.
In Zhengzhou, der Hauptstadt der Provinz Henan, trafen wir
Zhao Zhen, einen HIV-Positiven aus dem Kreis Suixian. Er
wollte 25 Schülern und Schülerinnen, deren Eltern an Aids
gestorben waren, das Schulgeld im Wert von 10.000 Yuan spenden.
Am nächsten Morgen fuhr Zhao Zhen mit einem Langstreckenbus
in sein Dorf. Die Fahrt dauerte fünf Stunden. Alle Mitglieder
der Aids-Selbsthilfegruppe holten ihn an der Bushaltestelle
ab. Mit diesem Geld konnten 25 Kinder ein Semester die Schule
besuchen. Was Zhao Zhen den Kindern gebracht hatte, war
nicht nur Geld, sondern auch Hoffnung.
Am
nächsten Tag kamen wir im Dorf Wenlou im Kreis Shangcai,
Provinz Henan, an. Einige HIV-Positive und Waisenkinder
warteten auf uns. Diesmal sollten wir fünf Waisenkinder,
die sowohl durch ihren Charakter als auch ihre Studienleistungen
hervorstachen, finanziell unterstützen. Unter ihnen gab
es vier Mädchen, die die Mittelschule besuchten, und
einen sechsjährigen Jungen. Die Mädchen waren
introvertiert, doch als ich sie nach ihren Berufswünschen
fragte, antwortete eine, sie wolle Ärztin werden. Die
Qualen ihrer Eltern hatten in ihr den Wunsch geweckt, einen
Weg für die Bekämpfung der Krankheit zu suchen. Ich
bestärkte das Mädchen in ihrem Vorhaben, obwohl
ich nicht wusste, ob es später eine Möglichkeit
haben würde, an einer medizinischen Hochschule ausgebildet
zu werden. Ich wünschte ihr viel Erfolg.
In
der Erinnerung der Waisenkinder gibt es nicht nur Trennung
auf ewig, sondern auch Diskriminierung. Deshalb sollten
wir alles tun, um ihre Gesichter wieder zum Strahlen zu
bringen.
Hu
Jia: Nach dem Hochschulabschluss im Jahr 1996 Mitglied der
nichtstaatlichen Umweltschutzorganisation „Freunde der Natur“.
2001 erster Kontakt mit Aidskranken. Danach trat er einer
Nichtregierungsorganisation für Gesundheitspflege bei, die
Vorbeugungsmaßnahmen gegen Aids propagiert. Zur Zeit
plant er, eine Organisation zur Unterstützung von Aidswaisenkindern
zu gründen.