Entsetzliche
statistische Angaben
1985
wurde ein US-Amerikaner argentinischer Abstammung als
Chinas erster Aids-Fall bestimmt. Damals waren die meisten
Chinesen, das medizinische Personal eingeschlossen, noch
der Meinung, dass Aids mit China gar nichts zu tun hätte.
Fast 20 Jahre sind seither vergangen. Mittlerweile ist
Aids in China in eine Periode der raschen Ausbreitung
eingetreten. 2003 führte das chinesische Ministerium für
Gesundheitswesen mit technischer Unterstützung durch die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Aids-Programm
der Vereinten Nationen eine landesweite epidemiologische
Untersuchung über Aids durch. Die ersten Ergebnisse zeigen,
dass es in China rund 840 000 Aids-Infizierte gibt, die
in 31 Provinzen, regierungsunmittelbaren Städten
und autonomen Gebieten leben. Bei mehr als 80 000 war
die Krankheit ausgebrochen. Mit 840 000 HIV-Positiven
nimmt China den zweiten Platz in Asien und den 14. Platz
in der Welt ein. Nach den jüngsten Angaben der Chinesischen
Gesellschaft für die Prophylaxe und Behandlung von Geschlechtskrankheiten
und Aids machen die 20-29-Jährigen
über die Hälfte der Aids-Infizierten Chinas aus.
Den
statistischen Angaben zufolge erfolgte bei 68% der Aids-Fälle
in China die Ansteckung durch Drogeneinnahme per Injektion.
Die anderen Übertragungswege sind: Blut- und Blutplasmaspenden
(9,7%), Blutprodukte (1,5%), Geschlechtsverkehr (7,2%),
Übertragung von Mutter zu Säugling (0,2%) und
unbekannte Ansteckungswege (13,4%), wobei die Ausbreitung
von Mutter zu Säugling und durch Geschlechtsverkehr
mit jedem Jahr prozentual zunimmt. Wenn keine effektiven
Maßnahmen getroffen werden, wird bis 2010 die Zahl
der Aids-Infizierten in China 10 Mio. übertreffen, schätzen
einige Experten.
Mangel
an Kenntnissen über die Aids-Verhütung und -Behandlung
führt zu Angst vor dieser Krankheit
Aus
Mangel an Kenntnissen über Aids hat man die Krankheit
in China lange Zeit für eine Geschlechtskrankheit gehalten.
Man verband Aids mit „ungesundem“ Geschlechtsverkehr.
So wurde Aids in den Dörfern, in denen sich viele
Bewohner mit dem HI-Virus ansteckten, die „schmutzige
Krankheit“ genannt. Vom 17. November 2003 bis zum 10.
Februar 2004 führte CCTV (China Centre TV) unter den Besuchern
seiner Internetseite eine Umfrage bezüglich ihrer Aids-Kenntnisse
durch. Insgesamt wurden 23 750 Personen befragt. 23,71%
der Befragten meinten, Aids könne durch Geschlechtsverkehr
übertragen werden. Fast ebenso viele (23,10%) gaben an,
die Krankheit breite sich über Blut aus, 20,49% brachten
eine HIV-Infektion in Zusammenhang mit Drogenkonsum, 17,64%
mit Vererbung und 8% mit Mücken- und anderen Insektenstichen.
Außerdem wussten nur 58,15% der Befragten, dass
der 1. Dezember der Welt-Aids-Tag ist.
Der
Mangel an Wissen über die Aids-Verhütung und -Behandlung
hat dazu geführt, dass die Angst vor dieser Krankheit
weit verbreitet ist, was für die Aids-Infizierten eine
größere Belastung bildet als die Krankheit
an sich. Weil die wenigsten Leute über die Ansteckungswege
von Aids Bescheid wissen, will niemand Getreide oder Gemüse
aus den Dörfern mit einer hohen Zahl von HIV-Positiven
kaufen. Solche Dörfer genießen zwar wegen der
Aids-Epidemie eine Vorzugsbehandlung durch die Regierung
und sind von der Erfüllung des Getreidesolls befreit.
Aber es gibt für sie keine Möglichkeit, das überschüssige
Getreide in Bargeld zu verwandeln. Die Bewohner der Nachbardörfer
versperren sogar ihre Fenster, die nach den so genannten
„Aids-Dörfern“ gerichtet sind, aus Angst, der „Aids-Wind“
könnte ihnen die Krankheit ins Haus wehen. Für junge
Leute aus den „Aids-Dörfern“ im Heiratsalter ist
es unmöglich, sich mit jemandem aus einem anderen
Dorf zu treffen, auch wenn ärztlich bewiesen ist,
dass sie ganz gesund sind. Und wer in der Kreisstadt eine
Motorradrikscha sucht, um in die „Aids-Dörfer“ zu
fahren, muss häufig mit Absagen rechnen.
Ein
chinesisches Befragungsinstitut hat bei 1148 Menschen
in der Stadt Neijiang, Provinz Sichuan, eine Umfrage durchgeführt.
Wie die Ergebnisse zeigen, hoffen 88% der Befragten, dass
die Aids-Infizierten und Aidskranken keinen gesellschaftlichen
Umgang mit anderen Personen pflegen. In der Tat hat es
nur ein Drittel der Aids-Infizierten gewagt, ihren Gesundheitszustand
bekannt zu geben. 92% von ihnen mussten daraufhin feststellen,
dass sich die Leute von ihnen abwandten, anstatt ihnen
für ihre Offenherzigkeit Sympathie entgegenzubringen.
Gerade wegen dieser Diskriminierung hält die Mehrheit
der mit Aids Angesteckten und der Aidskranken daran fest,
ihren Gesundheitszustand geheim zu halten. Damit jedoch
vergrößert sich das Risiko, dass HIV-Infizierte
im Alltagsleben die Krankheit unabsichtlich weitergeben.
Die
Regierung sagt Aids den Kampf an
Am
26. November 2003 um 15.14 Uhr wurde im ersten Programm
von CCTV eine Fernsehwerbung ausgestrahlt, die darauf
aufmerksam machte, dass die Benutzung von Kondomen vor
Aids schützen kann. Zwar wurde diese Fernsehreklame nicht
wie geplant zwei Wochen lang gesendet, aber es war der
erste Spot über Kondome und Fortpflanzungsmedizin, der
im Fernsehen der Landesebene Chinas lief. Dies sahen viele
ausländische Medien als Symbol dafür an, dass die
chinesische Regierung den Kampf gegen Aids offiziell lanciert
hat.
Ein anderes Zeichen dafür
ist, dass die Ausgaben der chinesischen Regierung für
die Aids-Vorbeugung und -Behandlung Jahr für Jahr
deutlich zunehmen. 1996 betrugen die entsprechenden Sondermittel
erst 5 Mio. Yuan, doch 2001 stieg der Betrag auf 100 Mio.
Yuan pro Jahr an.
Im
März 2003 unterzeichneten das Ministerium für Gesundheitswesen
und die Leiter der Gesundheitsämter von 11 Provinzen
ein Dokument, das die Verantwortlichkeit für die Organisation
der umfassenden Aids-Verhütung und -Behandlung in Modellzonen
regelt. Die ersten Modellzonen Chinas wurden zur gleichen
Zeit in Henan, Hebei und Shanxi gegründet. Dort können
die HIV-Infizierten Medikamente kostenlos beziehen. Zur
Zeit gibt es in China nur etwa 3000 Aids-Kranke, die kostenlos
mit der Cocktail-Methode behandelt werden. Nach dem Plan
der Regierung sollen innerhalb von drei Jahren landesweit
124 Modellzonen eingerichtet werden.
Am
1. Dezember 2003 besuchte Ministerpräsident Wen Jiabao
drei Aids-Kranke im Ditan-Krankenhaus in Beijing. Er reichte
ihnen die Hand und plauderte mit ihnen. Es war der erste
Händedruck zwischen einem chinesischen Ministerpräsidenten
und Aidskranken. Ye Lei, der Leiter des chinesisch-amerikanischen
Programms für Aids-Verhütung und die Pflege von Aids-Kranken,
bezeichnet diese Geste als Meilenstein für die Aids-Verhütung
und -Behandlung in China. Am 18. Februar 2004 begaben
sich 76 Kader aus verschiedenen Behörden der Provinz
Henan, die von der Aids-Epidemie besonders stark betroffen
ist, in die „Aids-Dörfer“ dieser Provinz. In diesem
Jahr werden sie die Nachbarn der Aids-Kranken sein. Ihre
Hauptaufgabe ist es, der lokalen Regierung dabei zu helfen,
das System der medizinischen Versorgung für die Aids-Infizierten
zu vervollständigen. Darüber hinaus sollen sie dafür
sorgen, dass die lokalen Behörden die Aufforderungen
der Zentralregierung erfüllen. Hierbei handelt es sich
um die kostenlose Abgabe von Medikamenten gegen Aids,
eine kostenlose, anonyme ärztliche Untersuchung,
kostenlose Maßnahmen zur Vermeidung der Aids-Übertragung
von Mutter zu Kind und den gebührenfreien Schulbesuch
von Waisenkindern, deren Eltern am Aids gestorben sind.
Ferner sollen ältere Menschen, deren Kinder und Enkelkinder
an Aids starben, Betreuung erhalten.